Auftakt der 27. OIBM
Die ersten Partien der 27. Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften endeten, ohne dass auf den Brettern Figuren bewegt worden wären. Ein Schachfreund besiegte das Freilos, elf weitere remisierten, ohne zu spielen. Seit diesem Jahr ist am Tegernsee ein, wie es Reglementfachleute nennen, “half point bye” möglich: Wer verhindert ist bzw. sich einen schachfreien Urlaubstag am Tegernsee gönnen möchte, kann aussetzen und kampflos remisieren.
Diese neue Regelung kam insbesondere Florian Gutfleisch vom SK Großsachsen zugute. Sein Auto war während der Anfahrt mit einem Getriebeschaden liegengeblieben. Was in den vergangenen Jahren zu einer kampflosen Null geführt hätte, ließ sich anno 2024 mit einem Anruf regeln. Zum Auftakt nahm Gutfleisch den halben Punkt in Abwesenheit. Er ist mittlerweile per Leihwagen eingetroffen und wird zur zweiten Runde ins Turnier einsteigen.
Die erste im Turniersaal tatsächlich gespielte Partie endete ohne Ergebnis. Ein Großmeister unseres Sports, sein Name sei verschwiegen, hatte sich zu Rundenbeginn ans falsche Brett gesetzt und ebenso wie sein Kontrahent gegenüber einfach mal losgespielt. Schiedsrichterin und Schiedsrichtern war es auf den ersten Blick nicht aufgefallen. “Zu Beginn schauen wir erst einmal, dass an allen Brettern die Uhren laufen”, erklärt Schiedsrichter Hans Brugger. Aber nach wenigen Minuten offenbarte sich das Versehen. Schachfreund Großmeister begab sich ans richtige Brett und begann seine zweite Partie des Tages, diesmal eine, die zählte.

48 Live-Bretter wollten vor dem Turnierauftakt verkabelt werden. Helmut Schumacher wird während des Wettbewerbs sicherstellen, dass die Partien vom Tegernsee in alle Welt übertragen werden. | Foto: Sandra Schmidt
554 Spielerinnen und Spieler, drei Dutzend mehr als im vergangenen Jahr, aus etwa 30 Nationen nehmen zur 27. Auflage des Traditionsopens den Kampf um Preise und Sonderpreise, um Elo- und DWZ-Punkte auf. Veranstaltungsleiter Peter Rie freut sich, dass der Trend eines kontinuierlich wachsenden Wettbewerbs anhält. Turnierdirektor Sebastian Siebrecht ist froh, einmal mehr eine internationale Mischung aus Spitzenkönnern und außergewöhnlichen Begabungen ins Gut Kaltenbrunn gelockt zu haben. Von vielen Eloriesen und/oder Exoten, die jetzt neun Tage lang den einstigen Gutshof bevölkern, wird an dieser Stelle noch ausführlich zu berichten sein.

Turnierfavorit Dmitrij Kollars (rechts) musste schon zum Auftakt hart kämpfen. Voraussichtlich wird es in den kommenden acht Runden nicht leichter. | Foto: Sandra Schmidt
Wer Turnierfavorit ist, lässt sich der Teilnehmerliste entnehmen. Nationalspieler Dmitrij Kollars steht mit stolzen 2647 Elopunkten ein wenig über den Dingen. Aber dass eine OIBM gegen die Schar von ambitionierten Amateuren, Talenten und nicht zuletzt Profis auch für einen solchen Ausnahmekönner kein Spaziergang wird, zeigte schon die erste Runde. Die Auslosung nach Baku-Methode hatte Kollars zum Auftakt Kai Renner (Elo 2110) vom niedersächsischen Landesligisten Hamelner SV beschert, und der Großmeister musste fast 50 Züge kämpfen, bis der Punkt eingefahren war.
Die personifizierte Baku-Methode findet sich auf Rang zwei der Setzliste. Der aserische Großmeister Eltaj Safarli, Elorekord 2694, spielt mit Handicap. Ihm wird während der meisten Runden die bessere Hälfte fehlen. Während Safarli knapp 60 Züge brauchte, um die Erstrundenpartie gegen Klaus Jürgens zu gewinnen, weilte seine Lebensgefährtin Josefine Heinemann in Rosenheim. Als Aktivensprecherin hatte sich die Nationalspielerin zum Hauptausschuss des Deutschen Schachbunds begeben, wo die versammelten Bürokraten unseres Sports einen neuen Schatzmeister wählten (Alexander von Gleich, einstimmig) und sich ansonsten Fragen der Mitgliederverwaltungsordnung oder Satzungsreform widmeten.
Manch anderer Teilnehmer hat das Zeug, Kollars in die Suppe zu spucken. Genannt sei der Litauer Titas Stremavicius, mit dem Kollars und seine Nationalmannschaftskollegen unangenehme Erinnerungen verbinden. Vor sechs Wochen in der dritten Runde der Schacholympiade legte GM Stremavicius am ersten Brett mit einem Sieg über Vincent Keymer den Grundstein für den überraschenden litauischen Erfolg über die klar favorisierte deutsche Mannschaft.
Stremavicius‘ Sieg über Keymer im Video.
Vor einem Jahr hat sich Roven Vogel am Tegernsee die dritte Norm und damit den Großmeistertitel gesichert. Zwischenzeitlich hat er die 2550-Elo-Marke hinter sich gelassen, und zwei Punkte aus zwei Partien in der gerade angelaufenenen Bundesligasaison deuten an, dass er nun die 2600 in Angriff nimmt. Obwohl nominell “nur” die Nummer sechs des Feldes, fiel im Innenhof des Guts vor der ersten Runde in Debatten um potenzielle Favoriten der Name “Vogel” auffällig oft.
Marius Deuer und Leonardo Costa arbeiten noch an den 2500. Unter den (Noch-)Nicht-Großmeistern im Feld sind die beiden herausragenden 16-Jährigen des deutschen Schachs nominell die Nummer eins und zwei. Beide IM haben gerade erst beim Weissenhaus Young Masters einmal mehr GM-Format nachgewiesen. Im Gut Kaltenbrunn geht es für sie in erster Linie um die GM-Norm.
Der Coup der ersten Runde gelang einem 15-Jährigen. Dass Laurin Jahnz (Elo 2086) vom SK König Tegel Berlin einen 14-Jährigen besiegt, wäre nicht weiter erwähnenswert, aber in diesem Fall war der Unterlegene eines der größten Talente des österreichischen Schachs. FM Lukas Dotzer (Elo 2407), amtierender und mehrfacher österreichischer Jugendmeister, ist unlängst in Klagenfurt als ein herausragender Sportler Kärntens geehrt worden. Am Tegernsee zog er zum Auftakt den Kürzeren.
Momente der ersten Runde:

Giga Quparadze hat im Mai/Juni mit seinem geteilten ersten Platz beim Münchner Schachfestival gezeigt, dass er mit 2600- und sogar 2700-Konkurrenz auf Augenhöhe spielen kann. Zum Auftakt am Tegernsee 33…Lxh3+! mit Gewinnstellung zu finden, war eine vergleichsweise leichte Übung für den georgischen Großmeister.

Christian Schramm bestand diese beiden Endspieltests. Erst (links) per Txh6! dank des aktiven Königs trotz Minusbauern ins Bauernendspiel gehen, dann (rechts) per g4! das schwarze Duo auf der g- und h-Linie hemmen.

Keymerbesieger Stremavicius musste sich zum Auftakt in Gut Kaltenbrunn ordentlich strecken, bevor der Punkt eingetütet war. Hier hängt nicht nur der Turm a7, obendrein droht Txf6!. Der litauische Großmeister fand die beste Riposte …Tga8!.
Die zweite Runde beginnt am Sonntag, 27. Oktober, um 16, gefühlt um 17 Uhr. Achtung, Winterzeit!
Paarungen der zweiten Runde – hier klicken.