Chancen gab es durchaus, dass nach neun Runden am Ende der 25. OIBM ein Spieler mit 7,5 Punkten über allen anderen steht. Es hätte ja nur einer von den “6,5ern” gewinnen müssen. Anton Korobov etwa versuchte es über 74 Züge und fast sechs Stunden, bevor er sich in die Punkteteilung fügte. Am Nebentisch sah Daniele Vocaturo Chancen auf den großen Coup. Fast 60 Züge lang versuchte der Italiener, den vollen Punkt aus einem Turmendspiel gegen Vahap Sanal zu quetschen, bevor die Kontrahenten die Friedenspfeife rauchten.

Auch in der Partie zwischen Jan-Christian Schröder und Liviu Dieter Nisipeanu hätte sich die Waagschale in die eine oder andere Richtung neigen können, bis Nisipeanu auch angesichts seiner knappen Zeit in Form eines Remisangebots den Spatz in der Hand nahm. Und so zeichnete sich nach und nach ein rekordverdächtiges totes Rennen ab. Die Spieler aus der 9-köpfigen Gruppe derer mit 6,5/8 remisierten untereinander, sodass die 19 Spieler mit 6/8 die Chance hatten, mit einem Partiegewinn noch aufzuschließen.

Gruppenbild mit Turniersieger: Jan-Christian Schröder (Mitte, blaues Hemd) mit (von links) TTT-Geschäftsführer Christian Kausch, Veranstaltungsleiter Peter Rie, stellvertretende Landrätin Ulrike Küster, Vahap Sanal (Platz drei), Eltaj Safarli (Platz zwei) und Turnierdirektor Sebastian Siebrecht. | Foto: Sandra Schmidt

14 Spieler mit sieben Punkten aus neun Partien stehen jetzt ganz vorne, eindeutig angeführt vom Besten unter den Gleichen, Jan-Christian Schröder, der seine sieben Punkte gegen einen Schnitt von 2462 Elo erspielt hat, höher als der Gegnerschnitt aller anderen.

Interview mit Turniersieger Jan-Christian Schröder

Unter den 14: Shreyas Royal (13), der mit einen Schlussrundensieg seine erste GM-Norm geschafft hat, ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk – auch für Tykhon Cherniaiev. Weil Royal unter den regulären Preisträgern steht, gewann Cherniaiev mit 6,5 Punkten den U14-Preis. Beste Dame: Josefine Heinemann mit 6 Punkten, nach Wertung vor der punktgleichen Denise Trippold.

Nach Dxh7+ war die GM-Norm unter Dach und Fach.

Nach der Verleihung aller Preise zeigte sich Turnierdirektor Sebastian Siebrecht zufrieden mit dem Verlauf der Veranstaltung, Und er freut sich schon auf die 26. Auflage im kommenden Jahr, bei der mit möglichst mehr als 600 Teilnehmern und Teilnehmerinnen möglichst ein Rekord aufgestellt werden soll.

 

 

 

Erster unter Gleichen: Großmeister Jan-Christian Schröder gewinnt die 25. Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften mit 7 Punkten aus 9 Partien. Schröder führt dank bester Wertung die 14-köpfige Gruppe der Schachmeister an, die am Ende vorne stehen. Seine sieben Punkte hat der Berliner gegen einen Eloschnitt von 2462 erzielt, besser als alle Verfolger.

“Es gibt ja auch ambitionierte Hobbyspieler”: Jan-Christian Schröder, Sieger der 25. OIBM. | Foto: Sandra Schmidt

Mit dem 24-Jährigen gewinnt ein Nicht-Profi das bajuwarische Traditionsopen. Schröder studiert Jura, hat sein erstes Staatsexamen hinter sich und beginnt im kommenden Jahr sein Referandariat. Und er hofft, im kommenden Jahr die Zeit zu finden, weitere Turniere zu spielen. Ein Blitzinterview direkt nach dem Turniersieg:

Jan-Christian, Glückwunsch! Wann im Turnier hast du begonnen, mit dem ersten Platz zu liebäugeln?

Aber der sechsten, siebten Runde hatte ich im Blick, dass es für mich um den Turniersieg geht.

Gab es eine zentrale Partie?

Der Schwarzsieg gegen Dieter Morawietz in der siebten Runde war wichtig – und glücklich. Er hat eine sehr gute Partie gespielt und stand eigentlich bis zum Ende okay. Nach der Zeitnot hatte ich im Endspiel vielleicht ein bisschen Druck, aber seine Stellung sollte ohne große Probleme zu halten sein. Er hat dann ein, zwei ungenaue Züge gemacht, selbst danach ging es noch, aber dann hat er es sofort eingestellt. Ein glücklicher Sieg, nach dem ich mit 6 Punkten aus 7 Partien ganz vorne stand.

Deine Weißpartie gegen Korobov in der achten Runde wurde schnell remis. Ein taktisches Remis?

Schnelles Remis einfach so gibt es bei mir nicht, das wäre für mich nicht infrage gekommen. Schach ist mein Hobby, ich spiele aus Freude am Spielen und nicht, um taktische Remisen zu machen. Anton war in dieser Partie sehr gut vorbereitet, hat die ersten Züge rausgeblitzt und am Ende seiner Vorbereitung Remis angeboten. Das habe ich abgelehnt, aber dann nicht ideal fortgesetzt. Wenig später muss ich eine Zugwiederholung zulassen. Erst dachte ich, ich hätte völligen Quatsch gespielt, aber hinterher am Computer habe ich gesehen, dass zum Beispiel Michael Adams schon denselben Aufbau gewählt hat wie ich. Also war es wohl doch nicht so abwegig, aber Schwarz kann halt einfach die Züge wiederholen. Der richtige Weg ist für Menschen nicht leicht zu sehen.

Heute gegen Nisipeanu standest du laut Engine erst sehr gut, dann kritisch, und dann war es plötzlich Remis. Was war da los?

Ich hätte gegen seinen Sweschnikow mit Weiß remisieren können, aber, das sagte ich schon, das kommt für mich nicht infrage. Ich wollte gewinnen. Er hat dann ein bisschen komisch gespielt, 14…d5 erscheint mir riskant. Dafür wollte ich ihn bestrafen, indem ich auf f5 nehme und diesen Mehrbauern mit Dh5 festhalte. Die Stellung muss eigentlich gut sein für Weiß, aber so klar ist es nicht. Sein …f6, das ich provoziert habe, sieht auf Anhieb schrecklich aus. Ich hatte durchaus verstanden, dass das so schlimm gar nicht ist, aber auch darauf gesetzt, dass er in diesen Komplikationen viel Zeit verbrauchen wird. In der Schlussstellung steht Schwarz sogar gut. Wie gut, das hat er glücklicherweise nicht ganz realisiert, insofern hat sich meine Strategie verspätet ausgezahlt.

Stellung nach 14…d5 und die Schlussstellung nach 25…d4.

Wie ordnest du den Turniersieg ein? Dein größter Erfolg bislang?

Ein Turnier dieser Kategorie habe ich noch nie gewonnen, das stimmt. Höhere Performances hatte ich allerdings durchaus schon. Zu einem aus meiner Sicht sehr guten Turnier fehlte ein Sieg gegen Stärkere. Und das, obwohl ich gegen Safarli in Runde vier und Vahap in Runde sechs Riesenstellungen hatte. Also, es war sicher ein gutes Turnier, aber eigentlich hätte es noch besser sein können.

Würdest du dich wirklich als “Hobbyspieler” charakterisieren?

Es gibt ja auch ambitionierte Hobbyspieler. Ich wollte ausdrücken, dass es für mich nicht um Preisgeld und Turniertaktik geht. Schach macht mir Spaß, ich will interessante Partien spielen. Davon leben muss ich nicht. Wenn es mein Studium erlaubt, arbeite ich intensiv an meinem Schach, wenn nicht, dann nicht. Bei mir ist das wellenförmig. Zum Beispiel war ich für ein halbes Jahr in den USA, da hatte ich viel Zeit, mich mit Schach zu beschäftigen und zu spielen. Kurz vor dem Examen war es genau andersherum. In solchen Phasen kann es passieren, dass ich einen Monat lang kein Schachbrett sehe.

Was steht als nächstes auf dem Turnierplan?

Vielleicht die Bundesliga, das steht noch nicht fest. Ansonsten sieht es aus, als würde ich dieses Jahr kein Schach mehr spielen. Nächstes Jahr hoffentlich wieder.

 

 

 

 

Riesenpech für Leonardo Costa: Mit zwei Siegen zum Schluss, dachte der 14-Jährige, könne er am Tegernsee seine zweite IM-Norm schaffen. Entsprechend froh und erleichtert war er nach seinem hart erkämpften Achtrundensieg über Luisa Bashylina. Nun noch ein Sieg in der neunten Runde, und die Norm ist eingetütet – dachte er. Dann bescherte ihm die Auslosung der neunten Runde eine kalte Dusche, einen Gegner mit Elo 1670, zu niedrig für Normansprüche. Selbst ein Sieg wird nicht reichen.

Pech, aber kein Beinbruch. Leonardo Costa wird recht bald anderswo seine zweite und auch seine dritte Norm erfüllen, seinen Elo über 2400 schrauben und den IM-Titel bekommen, sein erklärtes kurzfristiges Ziel, wie er im Interview bestätigt. Wie es dann weitergeht? Es sei zu früh, darüber zu reden, findet Leonardo Costa. “Ich denke auch gar nicht groß darüber nach.”

“Meinem Sohn im Wettkampf zuzuschauen, ist sehr aufregend für mich”: Leonardo und Vincenzo Costa während der Achtrundenpartie gegen Luisa Bashylina. | Foto: Sandra Schmidt

Das folgende Gespräch mit Leonardo und seinem Vater Vincenzo Costa haben wir nach der siebten Runde geführt:

Leonardo, für einen Münchner wie dich liegt die OIBM quasi vor der Haustür.

Leonardo: Ja, kurze Anfahrt, Übernachten zu Hause, das ist praktisch. Leider nicht in den Herbstferien wie sonst. In diesem Jahr überschneidet sich das Turnier mit der Schule, das ist nicht ideal. Nicht nur für mich, für alle Kinder und Jugendlichen.

Morgens zur Schule, nachmittags ans Brett. Hattest du noch Zeit für Partievorbereitung?

Leonardo: Ein wenig. Abends nach der Runde war es dafür zwar zu spät, aber ich habe versucht, morgens vor der Schule ein paar Partien meiner Gegner zu studieren. Und nach der Schule war meist noch ein wenig Zeit, bevor wir Richtung Tegernsee aufgebrochen sind.

Vincenzo, du spielst auch Schach. Ist Leonardo über dich dazu gekommen?

Vincenzo: Ich bin bestenfalls ein Gelegenheitsspieler. Aber ich hatte eine Schachsoftware auf meinem Tablet, und Leonardo hat angefangen, damit zu spielen. Da war er fünf. Als ich merkte, dass ihm Schach Freude bereitet, habe ich ihm einen Account auf einer Schachseite angelegt. Später kam erstes Training in einer Kinderschachgruppe dazu, so fing es an…

Leonardo: …und für mich war schnell klar, dass ich dranbleibe. Schach hat mir von Beginn an großen Spaß gemacht, das ist bis heute so.

Vincenzo: Meine eigene Ambition hält sich in Grenzen. Ich spiele vielleicht ein Turnier im Jahr, und das vor allem, damit ich als Leos Chauffeur nicht so lange warten muss, bis er fertig ist. Außerdem ist es besser für meine Nerven (lacht). Meinem Sohn im Wettkampf zuzuschauen, ist sehr aufregend für mich.

Deutscher Meister U14, bei weitem nicht Leonardo Costas erster Titel: “Mein erster Sieg bei der Deutschen Meisterschaft vor fünf Jahren war der erste Erfolg, auf den ich richtig stolz war.” | Foto: Deutsche Schachjugend

Leo, gab es einen Punkt, an dem dir aufgegangen ist, dass du ein Ausnahmetalent bis?

Leonardo: Vielleicht vor fünf Jahren, als ich die Deutsche Einzelmeisterschaft in meiner Altersklasse gewonnen habe. Das war jedenfalls der erste Sieg, auf den ich richtig stolz war.

Vincenzo: Mir war das viel eher klar, nämlich bei Leos erstem Turnier, einem U14-Turnier. Leo war fünf Jahre alt – und hat alle fünf Partien und das Turnier gewonnen. Nach dieser Überraschung habe ich beschlossen, Leos Schach zu fördern, so lange er das will.

Und so lange es die Schule nicht beeinträchtigt?

Vincenzo: Bei besonderen Veranstaltungen gibt es die Möglichkeit einer Schulbefreiung. Aber davon machen wir nur ganz behutsam Gebrauch, wir haben schon das eine oder andere Turnier wegen Schule abgesagt. Die Schule hat Priorität, so wie jetzt bei den OIBM. Unabhängig vom Schach, Leo sollen im Leben alle Wege offenstehen, er soll als kultivierter Mensch aufwachsen, und dafür bedarf es Schulbildung. Ein anderer Faktor, bei dem wir abwägen müssen, sind die Kosten. Leo bekommt Förderung vom Deutschen und vom Bayerischen Schachbund, darüber sind wir froh und dankbar, aber das allein würde nicht reichen. Privat muss ich sehen, was wir leisten können.

Auf dem Level, das Ihr mittlerweile erreicht habt, ist Schachvater zu sein wahrscheinlich eine fordernde, zeitintensive Betätigung.

Vincenzo: Stimmt, aber ich habe Freude daran. Leo zu begleiten, ist mein großes, liebstes Hobby. Generell reise ich gerne, entdecke gerne neue Orte. Außerdem sind Wettkämpfe oft spannend zu verfolgen, in der Bundesliga zum Beispiel. Und wenn nicht, finde ich immer eine andere Beschäftigung. Ich kann zum Beispiel oft aus der Ferne arbeiten, während Leo spielt. Der wichtigste Faktor, warum das Schachvaterdasein mir Freude bereitet, ist zu erleben, welche Freude mein Sohn beim Schach empfindet. Das allein würde mir schon reichen. Alles andere ist Bonus.

Für dich, Leo, ist Schach wahrscheinlich mehr als ein Hobby. Vor einem Jahr warst du sogar die Nummer fünf der Welt in deiner Altersklasse. Wohin soll dein Weg führen?

Leonardo: Es ist zu früh, das zu sagen. Ich denke auch gar nicht viel darüber nach. Ich will besser werden, möglichst bald den IM-Titel schaffen, und dann schauen wir mal. Meine Niederlage am Tegernsee in der siebten Runde hat mich ein wenig zurückgeworfen, aber ich habe trotzdem noch die Chance auf meine zweite Norm. Wahrscheinlich muss ich dafür in den letzten beiden Runden gewinnen. Schwierig, aber ich werde es versuchen.

Was steht als nächstes an?

Leonardo: Erstmal die Bundesliga am letzten Novemberwochenende. Im Dezember spiele ich das GM-Turnier des BCA Augsburg: sechs Teilnehmer, doppelrundig, starke Gegner.

Im Mai in der Bundesliga zeigte Matthias Blübaum Leonardo Costa seine Grenzen auf. Dem großen Favoriten gelang ein filigran herausgespielter, strategischer Sieg. Im kommenden Jahr beim sogenannten Masters bekommt Costa eine Gelegenheit zur Revanche.

Nächstes Jahr kannst du als Deutscher Meister am „Masters“ teilnehmen und dich mit Keymer, Blübaum & Co. messen.

Leonardo: Das wird wahrscheinlich ein Höhepunkt meines Schachjahres. Auf die Vergleiche mit so starken Spielern freue ich mich.

Legst du Partien anders an, wenn gegenüber derart starke Spieler sitzen?

Leonardo: Ein gewisser Respekt schwingt dann schon mit. Meistens führt das dazu, dass ich etwas mehr Zeit verbrauche, meine Entscheidungen noch genauer prüfe. Ich bin dann etwas mehr darauf bedacht sicherzustellen, dass ich keine Fehler mache. Aber dass ich die Partien anders anlege, würde ich nicht sagen. Ich spiele meine Partie, egal, wer der Gegner ist.

 

 

Anton Korobov? Vahap Sanal? Eltaj Safarli? Jan-Christian Schröder? Wer aus diesem Quartett wird in der neunten Runde mit den weißen Steinen auf den vollen Punkt gehen, womöglich ein wenig Risiko nehmen, um am Ende als alleiniger Erster dazustehen? Am Sonntag ab 10 Uhr (!) werden wir es sehen.

Jan-Christian Schröder, einer der neun Spieler, die mit 6,5/8 vorne stehen. | Foto: Sandra Schmidt

Wäre das Turnier nach der achten Runde am Samstag beendet gewesen, wir hätten ein totes Rennen: Neun Spieler punktgleich an der Spitze, alle neun mit 6,5/8. Zu den acht Großmeistern, die ganz vorne stehen, hat sich mit Ferenc Langheinrich dank dessen 4,5/5-Zwischenspurts ein IM gesellt.

Nach Bananen stand es 1:1 zwischen Stelios Halkias (l.) und Ferenc Langheinrich, nach Punkten 0,5:0,5, und nach acht Runden stehen beide bei 6,5/8. | Foto: Sandra Schmidt

Das samstägliche Geschehen an den ersten drei Brettern in der achten Runde legt nahe, dass die Kontrahenten am Sonntag nicht um jeden Preis werden Blut sehen wollen. Schröder (6) vs. Korobov (6) ebenso wie Gopal (6) vs. Safarli (6) endete jeweils friedlich bei vollem Brett – die Chance für die 5,5er aufzuschließen. Liviu Dieter Nisipeanu etwa nahm diese Chance mit einem Glanzsieg über Julian Martin wahr. Daniele Vocaturo musste gegen den wackeren Gerlef Meins sehr lange arbeiten – mit dem gleichen Ergebnis.

Sollten am Sonntag alle Partien der Spieler mit 6,5 Punkten remis enden, wäre das die Chance für diejenigen mit 6 Punkten aufzuschließen. Theoretisch kann es passieren, dass nach neun Runden ein Dutzend oder mehr Akteure punktgleich ganz vorne steht.

Shreyas Royal braucht einen Sieg in der letzten Runde. | Foto: Sandra Schmidt

Einer der 19 Spieler mit 6 Punkten wird gewiss alles auf Sieg setzen: Shreyas Royal, der mit seiner ersten Turnierhälfte die Geschichte des Turniers geschrieben hat, ist weiter im Rennen um seine erste GM-Norm. Der 13-Jährige braucht am Sonntag einen Punkt, dann ist die Norm geschafft. Und, vielleicht, vielleicht, der geteilte erste Platz noch dazu, sollten ganz oben tatsächlich alle Punkte geteilt werden.

Riesenpech derweil für Leonardo Costa. Zur Achtrundenpartie gegen Luisa Bashylina war der 14-Jährige aus München in der Annahme angetreten, dass er mit zwei Siegen zum Schluss eine IM-Norm schaffen kann. Die Freude über den hart erkämpften Sieg gegen die deutsche Kaderspielerin war ihm nach der Partie anzusehen. Doch dann bescherte ihm die Auslosung eine kalte Dusche, einen Gegner, dessen Elo zu niedrig ist.

Timur Dushatov (10 Jahre, Elo 1670) steht nach einem kampflosen Sieg in Runde acht wie Costa bei 5,5 Punkten. Nun wollte der Loscomputer, dass diese beiden in der Schlussrunde aufeinandertreffen. Für Dushatov eine tolle Gelegenheit für einen Kampf mit einem sehr starken Spieler. Für Costa die Gewissheit, dass es auch im Fall eines Sieges nicht für die zweite Norm reichen wird.

Alle Paarungen der neunten Runde

 

“Fast im Stil von Magnus Carlsen”, findet Fabian Thiel vom gastgebenden TV Tegernsee.

FM Jonah Krause vom FC St. Pauli. | Foto: Sandra Schmidt

Nicht eine seiner Partien hat Thiel eingeschickt, sondern den sehenswerten Vergleich zwischen Thilo Koop und Jonah Krause, den Schwarz kaltblütig für sich entschied.

 

Bei manchem Schachspieler schlägt die für die Analyse des Geschehens nötige Objektivität in Selbstgeißelung um. Matthias Blübaum, deutsche Nummer zwei und amtierender Europameister, ist das herausragende Beispiel für dieses Phänomen. Wenn Blübaum, ein Großmeister internationalen Klasseformats, über seine Partien spricht, dann fallen stets Vokabeln wie “grässlich”, “schrecklich” oder “grauenhaft”.

Lars Heppert vom SK Neuburg neigt zumindest dem ersten Eindruck nach zu einer ähnlichen Form der Selbstkritik. Heppert hat einen wunderbaren, mit taktischen Feinheiten gewürzten schönheitspreisverdächtigen Schwarzsieg kommentiert eingeschickt (vielen Dank!) – und hat versäumt zu erwähnen,  dass im Lauf der nun folgenden 64-zügigen Schlacht manch exzellenter Zug gespielt worden ist, speziell von seiner Seite. Stattdessen: reihenweise “??”, als ob es sich um eine von Blübaum kommentierte Blübaum-Partie handeln würde.

Wir haben all die Doppelfragezeichen mal stehen gelassen, aber uns erlaubt, zumindest zwei sehr gute Züge mit einem Rufzeichen zu versehen, diejenigen Züge nämlich, mit denen Heppert das Geschehen an sich riss.

Charlize van Zyl hat Schach zweimal entdeckt. Erst in ganz jungen Jahren, als sie mit 13 jüngste südafrikanische WIM jemals wurde. Dann die Schachpause – und der Neuanfang. Als südafrikanische Nationalspielerin kommt die 23-Jährige an den Tegernsee, und sie bestätigt mit bislang 4,5 Punkten aus 7 Partien ihre Einschätzung, dass sie besser ist als die 1772 Elo, die in der Startrangliste hinter ihrem Namen stehen.

“Ich habe Momentum”: Charlize van Zyl. | Foto: Sandra Schmidt

Charlize, aus Südafrika an den Tegernsee. Wie kam das?

Ich habe gerade eine Reihe guter Ergebnisse gehabt, unter anderem bin ich Zweite bei der Afrikanischen Meisterschaft geworden. Es läuft bei mir, und jetzt soll das Momentum weiterlaufen. Auch um gute Gegner zu bekommen, habe ich mich nach Turnieren in Europa umgeschaut. Als ich auf Facebook fragte, was denn wohl ein gutes Turnier sei, meldete sich Sebastian Siebrecht. Jetzt bin ich hier.

Wie gefällt es dir?

So gut, ich kann manchmal gar nicht glauben, dass ich hier bin. Die Landschaft – wunderschön, wie gemalt. Das Essen – fantastisch. Und die Deutschen sind viel freundlicher, als ihnen nachgesagt wird. Auch die Turnierbedingungen und die Organisation – toll. Mein Lieblingsturnier! Ich bin froh, hier zu sein.

Charlize van Zyl für Südafrika am Brett bei der Schacholympiade 2022 in Chennai. | Foto: David Llada/FIDE

Sportlich läuft es auch.

Ich bin besser, als es meine Elozahl sagt, davon war ich schon überzeugt, bevor das Turnier begann. Ehrlich gesagt, ist mir meine niedrige Zahl sogar ein bisschen unangenehm, sie fühlt sich falsch an. Während der Pandemiemonate habe ich hart an meinem Schach gearbeitet. Jetzt kann ich die Ergebnisse meines Trainings endlich aufs Brett bringen.

Du bist nicht nur Zweite bei der Afrikanischen Meisterschaft geworden, du hast auch für Südafrika bei der Schacholympiade gespielt. Wie ist es gelaufen?

Ja, meine zweite Schacholympiade schon, diesmal am zweiten und ersten Brett für Südafrika. Für mich war es sportlich okay, für die Mannschaft, naja. Wir hatten uns mehr erhofft als Platz 100 unter 160 Mannschaften.

Welche Bedeutung hat das Schachspiel und der Sport in deiner Heimat?

Schach ist eher klein, aber existent und lebendig. Und die Tendenz ist gut. Den Aufschwung, in dem sich Schach fast überall befindet, sehen wir auch in Südafrika. Auch sportlich ist einiges in Bewegung. Wir haben eine ganze Reihe von Talenten, die gerade nach oben kommen.

Wie bist du zum Schach gekommen?

Ich bin in einer Schachfamilie aufgewachsen. Mein Vater hat es mir beigebracht, als ich sieben war. Als Achtjährige habe ich angefangen, Turniere zu spielen. Mit 13 hatte ich meinen bis jetzt größten Erfolg: das afrikanische Zonenturnier gewonnen und den WIM-Titel noch dazu – als jüngste Südafrikanerin jemals. Danach ist es allerdings eingeschlafen. Als Teenager habe ich Schach für einige Jahre aus den Augen verloren.

Das hat sich offenbar geändert.

Allerdings, meine Beziehung zum Schach ist inniger als je zuvor, es ist ein großer Teil meines Lebens, den ich nicht missen möchte. Als Spielerin arbeite ich an meinem Schach, und ich will besser werden. Außerdem habe ich Schach zum Beruf gemacht. Bei Forward Chess bin für das Marketing zu ständig.

Hier am Tegernsee sind wir auf der Zielgeraden, wie geht es weiter für dich?

Paris wollte ich immer schon besuchen. Jetzt bin ich so nahe dran, ich werde dort nach dem Turnier einige Tage urlauben. Und ich möchte weitere Turniere in Europa spielen, so lange das Momentum in meinem Sinne arbeitet. Aber was mein nächstes Turnier wird, weiß ich noch nicht. Kannst du mir eines empfehlen?

—-

Wer Charlize van Zyl ein Turnier empfehlen möchte, sie freut sich über Hinweise:
charlizievz@gmail.com

Im Frühling blühen die Jacaranda-Bäume: Charlize van Zyl in ihrer südafrikanischen Heimat. | Foto: privat

Eines der bekanntesten Schachfotos überhaupt, aufgenommen auf der Isle of Man, zeigt den vierfachen ukrainischen Meister Anton Korobov, der am Freitag am Tegernsee den Ausreißer Shreyas Royal auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hat. | Foto: Maria Emelianova/chess.com

Nun hat es Shreyas Royal erwischt. Es bedurfte der schwerstmöglichen Aufgabe, die es bei den 25. OIBM gibt, Schwarz gegen Anton Korobov, die nominelle Nummer eins des Turniers. Gegen den ukrainischen Nationalspieler (Elo-Bestwert 2723) zog der 13-Jährige aus Greenwich ausgangs einer italienischen Eröffnung schon im frühen Mittelspiel den Kürzeren und vermochte die Partie nicht mehr zu retten.

In der Tabelle hat jetzt nominell erstmals alles seine Ordnung. Die Meute hat den Ausreißer eingefangen, fünf Großmeister liegen mit 6/7 vorne. Nur ein Punkt trennt Etaj Safarli auf Platz 1 und Cem Galioglu auf Platz 55. Die 15-köpfige Gruppe der Spieler mit 5,5 Punkten führt dank seiner Wertung der Ex-Ausreißer Shreyas Royal an, der weiter auf GM-Norm-Kurs segelt, aber jetzt sein Polster eingebüßt hat.

Schon im Interview nach seinem Sechstrundenremis hatte Shreyas Royal angedeutet, dass er zwar mit dem Turniersieg liebäugelt, aber diesen kaum einplanen kann. Eine GM-Norm allerdings, seine erste, die würde er schon gerne erzielen. Mit einer Performance von derzeit 2649 sind seine Aussichten in dieser Hinsicht weiterhin intakt.

Gäbe es am Tegernsee einen Preis für Präzision, Etaj Safarli hätte ihn nach der siebten Runde für seine uhrwerkhafte Performance gegen den sich wacker wehrenden Ilja Schneider gewonnen. Safarli führt jetzt dank bester Wertung das Turnier an. | Foto: Sandra Schmidt

Punktgleich hinter Shreyas Royal: Mitfavoriten, mit denen noch zu rechnen ist, der ehemalige Europameister Anton Demchenko etwa, der deutsche Nationalspieler Liviu Dieter Nisipeanu oder die italienische Nummer eins Daniele Vocaturo, allesamt bei 5,5 Zählern – und unter Druck. Wer von den Spielern mit 5,5 noch das Turnier gewinnen will, wird in der achten Runde seine Partie gewinnen müssen. Insofern: Morgen wird eine Runde der Vorentscheidungen ausgetragen.

Daniele Vocaturo musste im Lauf des Turniers manch bangen Moment überstehen, den etwa, als Julius Ohler hier auf g3 einen Turm opferte, aber nun liegt die Nummer eins Italiens zwei Runden vor Schluss mit einem halben Punkt Rückstand auf das Führungsquintett gut im Rennen.

Zwei Preisverleihungen gab es schon vor der siebten Runde. Für seinen Sieg mit dem Morra-Gambit, den Thomas Lochte für diese Seite kommentiert hat, bekam er den täglichen Schönheitspreis, überreicht von Turnierdirektor Sebastian Siebrecht.

Thomas Lochte, Ritter des Morra-Gambits. | Foto: Sandra Schmidt

Zum täglichen Preis kam eine nicht alltägliche Ehrung. Vier Spieler haben, kein Scherz, an allen 25 Auflagen der Offenen Internationalen Bayerischen Schachmeisterschaft teilgenommen: Jens Weichelt, Ulrich Bäuml, Rudolf Schön, Michael Walda. Veranstaltungsleiter Peter Rie und Sebastian Siebrecht ehrten die vier Schachfreunde für ihre langjährige Treue zum Traditionsturnier am Tegernsee.

Peter Rie (links) und Sebastian Siebrecht (rechts) ehren (von links) Jens Weichelt, Ulrich Bäuml, Rudolf Schön, Michael Walda für 25 Teilnahmen am Tegernsee. | Foto: Sandra Schmidt

Die Spitzenpaarungen der achten Runde:

Alle Paarungen der achten Runde

Movesesian vs. Kasparov, Sarajevo 2000. Wer erinnert sich nicht?

Luisa Bashylina. | Foto: Sandra Schmidt

Fangfrage, wir könnten auch viel einfacher beschreiben, worum es hier geht: Sizilianisch, Turmopfer auf c3.

Für eine Spielerin wie Luisa Bashylina gehört so ein Motiv natürlich zum kleinen Einmaleins, zum elementaren Handwerkszeug. Und doch: Wenn sich der Moment ergibt, den Turm günstig auf c3 reinzuprügeln, dann ist das ein Vergnügen, sei es für Garri Kasparov, sei es für Luisa Bashylina. Letztere hat sich so über ihren schönen (schönheitspreisverdächtigen?) Sieg in der sechsten Runde gefreut, dass sie ihn eingesandt hat:

Nochmal Tolusch-Geller? Nadeesh Lindam war sich nicht sicher, ob er sich darauf einlassen sollte.

Nadeesh Lindam. | Foto: Sandra Schmidt

Er hatte ja gerade erst an dieser Stelle eine kommentierte Partie mit eben dieser Eröffnung (und mit einem wunderbaren Turmopfer) präsentiert. Armin Maier hätte das gesehen haben und präpariert sein können. Letztlich ließ sich Lindam erneut drauf ein, und schon im fünften Zug war klar, dass er keine Vorbereitung befürchten musste.