Elf Mann punktgleich vorne, Deuer vs. Kollars um GM-Norm und Turniersieg (OIBM, 8. Runde)

Unentschieden an den oberen Brettern eröffneten einmal mehr den Verfolgern die Chance aufzuschließen. Aus dem Quintett an der Tabellenspitze ist vor der letzten Runde eine Gruppe von elf Spielern geworden, die mit 6,5 Punkten aus 8 Partien das Feld anführen: neun Großmeister, ein IM, ein FM. Einer aus dieser Gruppe wird am Sonntag um 17 Uhr als Turniersieger auf dem Podium stehen.

Wer macht das Rennen? Die Tabelle zeigt eine dicht gedrängte Spitzengruppe. Elf Spieler stehen punktgleich vorne. | Foto: Sandra Schmidt

Die aus deutscher Sicht zentrale Partie beginnt um 10 Uhr an Brett 1: Marius Deuer trifft auf Dmitrij Kollars. Für Supertalent Deuer geht es um seine erste Großmeisternorm und den Turniersieg, für den Deutschen Meister Kollars um den Turniersieg.

Titas Stremavacius nutzte gegen Dmitrij Kollars die Gelegenheit, in ein kaum zu verlierendes Endspiel zu entschlüpfen. | Foto: Sandra Schmidt

Während der achten Runde hatte Nationalspieler Kollars die besten Aussichten, zum zweiten Mal allein den Platz an der Sonne einzunehmen, anstatt sich den ersten Platz teilen zu müssen. Mit den weißen Steinen hatte sich der Bremer am ersten Brett einen stabilen Vorteil gegen Titas Stremavicius herausgespielt. Aber anstatt den Litauer einer ausgiebigen Massage zu unterziehen, ließ Kollars ihn in ein Endspiel entschlüpfen. Optisch sah das unverändert gut aus, aber praktisch gab es kein Durchkommen mehr, nachdem mit den Damen die Dynamik verschwunden war. Nach 45 Zügen einigten sich bei beiden auf remis.

33.b3 war etwas nachlässig. Schwarz spielt 33…De2, bekommt die Damen getauscht und steht fortan sicher.

Am zweiten Brett hoffte Venkataram Karthik gegen den Isolani von Elham Amar ebenfalls auf eine Massage-Konstellation. Aber mit aktivem Figurenspiel ließ der Norweger seinen Isolani gar nicht erst zum Ziel werden. Bis zum Ende nach 46 Zügen hielt sich das Geschehen die Waage.

Elham Amar ließ mit Schwarz nichts anbrennen. | Foto: Sandra Schmidt

Auch Giga Quparadze kam zu keinem Zeitpunkt in die Nähe eines Sieges, der ihm mit 7/8 die alleinige Tabellenführung beschert hatte. Gegen Kacper Pioruns Cozio-Spanier stand bald eher Schwarz besser. Die Partie verflachte zügig in ein symmetrisches Endspiel, in dem für beide Seite nicht mehr als ein halber Punkt drin war. Nach 22 Zügen bot Piorun remis an, Quparadze akzeptierte (mit der obligatorischen 1 Stunde 31 Minuten auf der Uhr).

Freier Tag und voller Punkt für Rinat Jumabayev. | Foto: Sandra Schmidt

Damit war der Weg frei, zum Spitzenquintett aufzuschließen. Am schnellsten gelang dieses Unterfangen Rinat Jumabayev, der kampflos gewann. Sein Gegner Zi Han Goh, Talent aus Singapur, hatte sich erkrankt abgemeldet.

Auch Eltaj Safarli hat sich in einer Position gebraucht, die den Turniersieg möglich macht. Dafür muss er in der letzten Runde mit Schwarz gegen Bartlomiej Herberla nachlegen. | Foto: Sandra Schmidt

Nachdem am Vortag Jumabayev gegen Ulrich Weber den am seidenen Faden hängenden halben Punkt gerettet hatte, verwehrte nun Eltaj Safarli am vierten Brett dem Zweitligaspieler aus Hofheim endgültig das Turnier seines Lebens. Webers Najdorf bekämpfte Safarli mit 6.f4 (die „Amsterdam-Variante“, die auch Dmitrij Kollars gelegentlich spielt) und baute bald Druck auf. Nach dem 20. Zug schlichen sich auf schwarzer Seite Ungenauigkeiten ein, die die schwarze Stellung nicht mehr verkraftete.

Kein Spaziergang für Marius Deuer gegen Yelyzaveta Hrebenshchykova. | Foto: Sandra Schmidt

Am neunten Brett musste Marius Deuer in einer für ihn zentralen Partie gegen Yelyzaveta Hrebenshchykova trotz fast 200 Punkten Elodifferenz härter kämpfen, als ihm lieb war. Dem soliden Vortrag der Ukrainerin war lange nicht beizukommen. Als kurz vor der Zeitkontrolle ein ausgeglichenes Damenendspiel auf dem Brett stand, machte sich auf weißer Seite die Zeitnot bemerkbar. Deuer versteckte seinen König vor gegnerischen Schachs und setzte einen Freibauern in Bewegung. Hrebeshchykova fand kein Mittel, ihn zu stoppen.

Mit nun 6,5/8 und einer Performance von 2638 bleibt der 16-Jährige auf GM-Norm-Kurs. Nun wartet zum Abschluss der Deutsche Meister und Turnierfavorit Dmitrij Kollars. Mit einem Remis oder einen Sieg hätte sich Deuer seine erste Großmeisternorm gesichert. Kollars muss gewinnen, will er das Turnier gewinnen.

Zurück an den oberen Brettern: Alexander Naumann (links) hat vier Partien in Folge gewonnen. | Foto: Sandra Schmidt

Zwei Tage ohne entschiedene Partien an den ersten Brettern bedeuteten für Schachmeister, von denen an dieser Stelle noch gar nicht die Rede war, eine Chance aufzuschließen. Einer von denen ist Großmeister Alexander Naumann, der das Turnier mit einem 2,5/4-Rumpelstart begonnen hat. Vier Siege später steht er bei 6,5/8. Wegen seiner bescheidenen ersten Turnierhälfte schleppt Naumann ein Wertungsproblem mit sich herum, aber theoretisch kann er am Sonntag das Turnier gewinnen. Es bedarf eines Schwarzsiegs über Stremavicius und Punkteteilungen an allen anderen Spitzenbrettern.

In einer ähnlichen Konstellation findet sich der einzige FIDE-Meister unter den elf punktgleich Führenden wieder. Auch Neil Berry aus Schottland ist mit 2,5/4 nicht gestartet wie ein potenzieller Turniersieger. Nun hat der einstige schottische Nationalspieler und langjährige Vorsitzende des Schachclubs Edinburgh vier volle Punkte in Serie eingefahren, den letzten davon in der achten Runde gegen Dieter Morawietz in einer Partie mit einigen Höhen und Tiefen. Nun hat auch Berry die theoretische Chance, am Sonntag gegen 17 Uhr als Turniersieger auf dem Podium zu stehen.

Neben Marius Deuer hat sich der bei 6/8 stehende Ioannis Papadopoulos eine Normchance erspielt. Der 21-Jährige vom SV Oberursel braucht in der neunten Runde mit den weißen Steinen einen Sieg über IM Fabian Baenziger für die IM-Norm.

Ehrung für den ältesten und den jüngsten Teilnehmer: Tarrasch-Experte Alfred Schattmann (90), Talent Arian Alloussi (8) und Turnierdirektor Sebastian Siebrecht. | Foto: Sandra Schmidt