Erst Arthur Humbert, dann die Favoriten (OIBM, 3. Runde)

„Tabelle ausschneiden, einrahmen, aufhängen“ gilt im Sport, wenn ein Außenseiter sich an die Spitze gesetzt hat, aber davon ausgehen muss, dass er dort nicht bleibt. Insofern an dieser Stelle zuerst eine Serviceleistung für Arthur Humbert vom SK Tarrasch 1945 München:

Arthur Humbert führt – ob das so bleibt? Für den Fall, dass nicht: ausdrucken, ausschneiden, einrahmen, aufhängen. | via chess-results

Nach drei Siegen in Folge führt der 19-Jährige vom Oberliga-Absteiger das Feld der gut 550 Spielerinnen und Spieler an, punktgleich mit sämtlichen Topfavoriten. Nach Wertung liegt Humbert vor den 13 anderen, die ebenfalls ihre ersten drei Partien gewonnen haben. Zur Belohnung darf er sich in der vierten Runde mit der norwegischen Schachhoffnung Elham Amar (19, Elo 2540) auseinandersetzen.

22…Txf3! und aus (fast). Der Favorit fischte noch 17 Züge im Trüben, ohne gegen Arthur Humbert etwas retten zu können.

Die Einladung, auf f7 herauszuknipsen und für die Figur drei Bauern und gewaltigen Königsangriff zu bekommen, nahm der norwegische Nachwuchs-GM Elham Amar gerne an.

Unter den 100-Prozentigen befindet sich der Georgier Giga Quparadze, dessen Zweitrundensieg auch deswegen aufgefallen war, weil er dafür fast gar keine Bedenkzeit verbraucht hatte. In der dritten Runde war es offenbar ein klein wenig schwieriger. Als sich im 66. Zug mit einer Minute auf der Uhr der schottische FM Neil Barry geschlagen gab, waren von Quparadzes ursprünglichen 90 Minuten immerhin gut 16 abgelaufen.

Es wird interessant zu sehen sein, wie viel Bedenkzeit der einstige georgische Meister (2019) am Dienstag am ersten Brett im Duell gegen Dmitrij Kollars verbrauchen wird, der ersten reinen GM-Partie der 27. OIBM. Und es wäre erstaunlich, würde Quparadze nicht am Mittwoch beim Blitzturnier auftauchen (Anmeldung noch offen!). Dass Quparadze stark blitzt, legt nicht nur sein bisheriges Spiel am Tegernsee nahe, auch das Ergebnis eines Titled Tuesdays im Januar 2021. Seinerzeit musste sich sogar Seriensieger Hikaru Nakamura hinter dem blitzschnellen Georgier einordnen.

Lange sah es für Zuschauer und Beteiligte nicht danach aus, aber am Ende setzte sich wie so oft der Favorit durch. Dmitrij Kollars verteidigte auch in der dritten Runde seinen Platz am ersten Brett. | Foto: Sandra Schmidt

Die Zahl der Frauen unter den 100-Prozentigen ist von 3 auf 0 gesunken. Am ersten Brett lieferte die einstige U10-Weltmeisterin Nutakki Priyanka dem Turnierfavoriten Dmitrij Kollars einen großen Kampf, in dem sich der Nationalspieler bis ins Endspiel anstrengen musste, nicht unter die Räder zu kommen. Aber über die Distanz setzte sich schließlich doch das 300-Elo-Plus des Nationalspielers durch.

Schönheitspreis für Kateryna Dolzhykovas Zweitrundenpartie, überreicht von Turnierdirektor Sebastian Siebrecht vor der dritten Runde, in der die Nationalspielerin ein weiteres sehenswertes Gefecht führte. | Foto: Sandra Schmidt

Lena Georgescu und Kateryna Dolzhykova lieferten sich ein sehenswertes Gefecht, in dem die favorisierte Deutsche aus der Eröffnung heraus Probleme hatte, aber partout nicht mit dem Rücken zur Wand stehen wollte. Stattdessen gab sie eine Figur für drei Bauern und ein paar taktische Nadelstiche. Georgescu war zeitweilig nahe am vollen Punkt, bekam aber keine Atempause gegönnt, und am Ende hatte sich Dolzhykova das Remis erkämpft. Beide stehen nun bei 2,5 Punkten.

Leonardo Costa wird in der vierten Runde zum ersten Mal im Turnierverlauf nicht Favorit sein. | Foto: Sandra Schmidt

Die beiden besten deutschen Jugendlichen, Marius Deuer und Leonardo Costa, haben wegen ihrer fast identischen Elo (2477 bzw. 2472) als Nummer 12 und 13 der Setzliste das bisherige Turnier nebeneinander verbracht, sind aber nach und nach von Brett 12 bzw. 13 nach oben gerückt. Nun stehen sie jeweils bei 3/3 und spielen wieder nebeneinander, diesmal an Bett 2 und 3 und zum ersten Mal nicht als Favoriten. Auf Costa (Weiß gegen Eltaj Safarli) und Deuer (Schwarz gegen Venkataram Karthik) warten die Nummer 2 und 3 des Turniers.

Nein, Wassily Iwantschuk (rechts) spielt nicht mit, auch wenn es auf den ersten Blick gelegentlich so aussieht. Beim Doppelgänger links handelt es sich um Martin Fernández Rodrigo vom SC Erlangen. | Foto: Sandra Schmidt

Momente der dritten Runde:

Keine Frage, chess.com vergibt die „!!“ inflationär. Trotzdem war 41…Tb8! ein Schlüsselzug, mit dem Kateryna Dolzhykova trotz Minusfigur und offenen Königs gegen Ende einer sehenswerten Partie der Punkteteilung ganz nahe gekommen war.

Nach einer strategischen Glanzleistung am Sonntag (kommentiert von ihm selbst auf dieser Seite) sollte Rinat Jumabayev am Montag einen taktisch geprägten Sizilianer gegen Jakob Weihrauch gewinnen – nachdem er im zehnten Zug das richtige Feld für seinen Springer gefunden hatte. Nur 10…Sxe4 ist okay für Schwarz, alles andere ist schlecht.

Gunnar Schnepp hatte gegen Leonardo Costa mutig erst eine Figur geopfert und wenig später in Ermangelung einer Alternative noch eine zweite. Dafür regnete es Bauern. Hätte er hier im 33. Zug noch eine Qualle reingesteckt, er hätte einen halben Punkt bekommen: 33.Txd5 Txd5 34.Dc6+ und Weiß erzwingt Dauerschach.

Titas Stremavacius landete den (zumindest an den oberen Brettern) spektakulärsten Sieg des Tages. 33…Sc3+ nebst Matt in 2 war schon das Ende einer sehenswerten Sequenz.

Alle Paarungen der vierten Runde