Kollars eingeholt, Großmeisterquintett führt (OIBM, 7. Runde)

Wer nach dem Ende der siebten Runde noch nicht seine Siegerwette abgegeben hat, der ist zu spät dran, um den Preis für den richtigen Tipp zu gewinnen. Wer sie abgegeben hat, braucht Glück oder hellseherische Fähigkeiten. Zwei Runden vor Schluss zeichnet sich nicht ab, wer am Ende oben stehen wird.

Die Abgabefrist für die Siegerwette ist mit Ende der siebten Runde abgelaufen. | Foto: Sandra Schmidt

Die alleinige Führung von Dmitrij Kollars währte nur einen Tag. Dem Nationalspieler war sein Kurzremis in der siebten Runde gegen den an zwei gesetzten Eltaj Safarli ein wenig unangenehm. Aber es war eine nachvollziehbare, naheliegende Entscheidung: Schwarz gegen einen starken Großmeister, der per schottischem Vierspringerspiel sogleich andeutete, dass sich seine Ambition an diesem Tag in Grenzen hält. Warum nicht einen quasi freien Tag nehmen, um sich dann mit voller Kraft und zudem mit den weißen Steinen in den Endspurt zu stürzen?

Hallo, Dmitrij: So fing die Partie am ersten Brett an. Fünf Minuten später war sie vorbei. | Foto: Sandra Schmidt

Die Punkteteilung am ersten Brett eröffnete den Verfolgern die Chance, zu Kollars aufzuschließen. Vier haben sie genutzt. Vor der achten Runde führen fünf Großmeister mit jeweils sechs Punkten das Feld an. Dahinter lauert eine Gruppe von 18 Verfolgern mit jeweils 5,5 Punkten.

Als Erster zu Kollars aufgeschlossen hatte der georgische Schnellspieler Giga Quparadze, der am Ende eines taktischen Handgemenges vor einem günstigen Schwerfigurenendspiel mit Mehrbauer und besserer Struktur saß, das er leicht verwertete. Bei den anderen drei dauerte es deutlich länger, und es war neben Kampfgeist Glück erforderlich.

Mit 6/7 Teil des Führungsquintetts: Venkataram Karthik. | Foto: Sandra Schmidt

Venkataraman Karthik hatte sich gegen Leonardo Costa zwar einen Mehrbauern erkämpft, aber sah lange nicht danach aus, als würde sich dieser Mehrbesitz verwerten lassen. Auf der Suche nach Aktivität griff Costa im 53. Zug fehl, lief in einen Konter, und nach 55 Zügen war es schon vorbei. Während Karthik nun ganz oben um den großen Preis mitspielt, bedeutet die Niederlage einen herben Dämpfer für die GM-Norm-Ambition des 16-jährigen Münchners.

Der letzte Trick gewann: Titas Stremavicius. | Foto: Sandra Schmidt

Titas Stremavicius hatte sich mit den schwarzen Steinen schon nach 22 Zügen gegen Jacek Stopa ein Endspiel mit Mehrqualität erkämpft, aber auf Kosten einer ruinierten Struktur. Fünf Stunden lang waren die Remischancen des polnischen Großmeisters intakt. Dann entging ihm im 66. Zug der letzte Trick des Litauers, und nach 68 Zügen war die Messe gelesen. Das Los bescherte Stremavicius in der Vorschlussrunde eine weitere Schwarzpartie: gegen Dmitrij Kollars am ersten Brett, eine Art Revanche für Schacholympia, wo Kollars Team in der dritten Runde den Litauern überraschend unterlag.

Es sah überhaupt nicht danach aus, aber auch Elham Amar schaffte es, mit Dmitrij Kollars gleichzuziehen. | Foto: Sandra Schmidt

Dass Elham Amar sich unter den Spitzenreitern mit sechs Punkten einreihen würde, daran hat er ausgangs der Eröffnung wahrscheinlich selbst nicht geglaubt. Gegen den Schweizer FM Igor Schlegel stand der Norweger mit einem offenen König unter Beschuss denkbar schlecht, aber schaffte es erst einmal, alle unmittelbaren Drohungen abzuwehren. Der vermeintliche Gewinnzug des Schweizers, 34.Tdd3, hatte einen Haken, eine nicht offensichtliche Verteidigung, die das Geschehen in ein etwa ausgeglichenes Endspiel münden ließ. Dann passierte, was beim Schach oft passiert: Wahrscheinlich frustriert vom entglittenen Gewinn, entglitt dem Schweizer auch noch der halbe Punkt.

34.Tdd3 hätte die Partie gewonnen – gäbe es nicht die trickreiche Verteidigung 34…Df1+! 35.Kxa2 Df7! und Weiß kann Damentausch nicht ausweichen. Nach zB 36.Te3+ zieht der König mit Schachgebot aus dem Schach.

In der Gruppe der 18 Verfolger finden sich reihenweise Anwärter auf Alters- und Ratingpreise sowie den Frauenpreis. Schachtennis-Vizeweltmeister FM Alexander Gschiel aus Österreich etwa (der im Tennis etwa so gut ist wie im Schach) führt mit 5,5 Zählern die U18-Konkurrenz an.

Kampfgeist: Nach vier Niederlagen in Folge sicherte sich Atticus Nguyen Trung, Jahrgang 2015, an Brett 267 einen hübschen Sieg. Hier (Diagramm links) erspähte er den zugleich besten und sehr hübschen Zug Ta6!, für Schwarz der Anfang vom Ende. Ob er die wahrscheinlich kürzeste Bundesliga-Gewinnpartie jemals mit dem gleichen Motiv kannte?

In der U16 hat sich der auf GM-Norm-Kurs segelnde Marius Deuer nach seinem Siebtrundenremis gegen Kacper Piorun zwar um einen halben Punkt von seinem Dauerkonkurrenten Leonardo Costa abgesetzt, liegt aber gleichauf mit FM Zi Han Goh aus Singapur. Der 15-Jährige aus dem WM-Ausrichterland gilt als eines der größten Talente Singapurs. Trotz intensiver schulischer Verpflichtungen und einiger außerschulischer Aktivitäten will er Singapurs nächster Großmeister werden.

Auslosung der achten Runde: (v.l.) Gerhard Bertagnolli, Sandra Schmidt, Sebastian Siebrecht, Ralph Alt. | Foto: Steffen Piechot

In seiner Heimat sorgte Zi Han Goh im Lauf des Jahres 2022 für Aufsehen, als er nach dem russischen Überfall auf die Ukraine durch Schachunterricht und Simultanvorstellungen Geld für ukrainische Flüchtlinge sammelte. Die Idee war ihm gekommen, weil er bis dahin wöchentlich mit dem ukrainischen Großmeister Yuri Vovk trainiert hatte. 13.000 Dollar kamen zusammen. „Beim Schach geht es für nicht nur ums Gewinnen und darum, mein Rating zu verbessen. Ich benutze es auch, um der Gesellschaft zurückzugeben“, erklärte Goh in einem TV-Interview.

Für Zi Han Goh lief es gegen Tobias Ammon gar nicht gut, aber dann ließ sich Schwarz auf eine taktische Sequenz ein, in der er wahrscheinlich die weiße Pointe 25.Df3! mit Figurengewinn übersehen hatte.

In der U2400-Klasse stand FM Ulrich Weber vom SV Hofheim während der siebten Runde kurz davor, sich ein wenig von den Mitbewerbern abzusetzen. Der Zweitligaspieler zwang der kasachischen Nummer eins Rinat Jumabayev eine lange Verteidigungsschlacht auf, die der Großmeister letztlich erfolgreich absolvierte.

Nicht glücklich mit seiner Stellung: Rinat Jumabayev musste seine ganze Klasse abrufen, um gegen Ulrich Weber den halben Punkt zu retten. | Foto: Sandra Schmidt

Im Kampf um den Frauenpreis hat Yelyzaveta Hrebenshchykova mit 5,5 Zählern die alleinige Führung übernommen. Die Ukrainerin gewann glatt gegen CM Jonas Rempe, der kein Mittel gegen den Sizilianer seiner Gegenspielerin fand.

Yelyzaveta Hrebenshchykova führt nach sieben Runden die umkämpfte Frauenkonkurrenz an. | Foto: Sandra Schmidt