Aktuelle Infos und Beiträge zur OIBM
„Rook lift“ oder „Rook up and over“, sagen die Amerikaner, Turm hoch und aus. Im deutschen Schach drücken wir uns abstrakter aus, da heißt es „Turmschwenk“. Das ist vielleicht nicht ganz so einprägsam wie der „Rover“, kommt aber dem Wesen des Manövers näher. Der Turm zieht ja nicht einfach hoch, und dann ist es aus, sondern die Essens des Schwenks besteht in eben diesem: Der Turm zieht hoch auf eine offene Reihe, dort schwenkt er zu einem neuen Betätigungsfeld – und dann erst ist es aus (oft).
Dieses Motiv des schwenkenden Turms ist als Muster natürlich im Gehirn von Fabian Jahnz gespeichert. Umso stärker, dass Jahnz es in der Partie gegen Wilfried Basener geschafft hat, auch neuronal umzuschwenken. Ein Turmschwenk war zwar angezeigt, aber eben nicht so, wie wir ihn kennen und wie auch Jahnz versucht war, ihn zu spielen. Ein Dankeschön ergeht an Jahnz‘ Junior Laurin, der ebenfalls mitspielt und seinen Vater animierte, die Partie einzusenden, auf dass er uns die Sache mit diesem ungewöhnlichen Turmschwenk noch einmal genau erklärt:
Im Lauf des Turniers haben wir manches Figurenopfer gesehen (auch einige unfreiwillige), aber keines wie das von Paulus Wohlfart in der fünften Runde. Der 62-Jährige von Freibauer Mörlenbach-Birkenau gab auf der einen Seite des Brettes eine Figur, um auf der anderen einen Freibauern in Stellung zu bringen, auf dass er durchläuft. Das Tolle an diesem Konzept: Es funktionierte!
Auch wenn die Chose vor dem unbestechlichen Schachfreund Computer nicht ganz bestehen mag: Die in dieser Partie demonstrierte Kreativität veranlasste Turnierdirektor Sebastian Siebrecht, Wohlfart vor der siebten Runde mit dem Schönheitspreis des Tages auszuzeichnen.
Nach sechs Runden haben die 27. Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften zum ersten Mal einen alleinigen Tabellenführer. Dmitrij Kollars gewann seine Sechstrundenpartie gegen den polnischen Großmeister Bartlomiej Heberla. Mit 5,5 Punkten (Performance 2763!) steht der Nationalspieler auf dem ersten Platz, gefolgt von 16 Spielern mit einem halben Punkt weniger.
Die beiden Großmeister am ersten Brett lieferten sich im Giuoco Pianissimo eine strategisch geprägte Auseinandersetzung, in der anfangs der Pole gut in die Partie kam, sogar kurz davorstand, das Kommando zu übernehmen. Aber dann war es doch Kollars, dem es dank eines Bauernopfers gelang, ein wenig Druck aufzubauen – was allein nicht entscheidend gewesen wäre.

Im Zug zuvor war Heberla mit 37…Kh7 ein Fehler unterlaufen (37…Sf6 war Pflicht). Jetzt kommt 38.Se6 mit Angriff auf den Tc7 und der Gabeldrohung Sf8+. Wehrt Schwarz beides mit 38…Tc8 ab, folgt 39.Sxg7! (39…Dxg7? Df5+ mit Qualitätsgewinn).
Neben der Stellung war die Zeit ein Faktor. Kurz vor der Zeitkontrolle mit drei Minuten auf der Uhr gelang es Heberla nicht, den einzigen Zug zu finden, der alle Drohungen pariert und das Geschehen in der Waage hält. Stattdessen gab er sich eine taktische Blöße, die Kollars sogleich ausnutzte. Er bekam den geopferten Bauern zurück, einen zweiten noch dazu, und plötzlich stand ein für Schwarz unhaltbares Endspiel auf dem Brett.
„Safety first“ galt in drei der vier anderen Spitzenpartien, in denen die Spieler mit 4,5 Punkten aufeinandertrafen. Trotz beiderseitiger solider Spielanlage kämpften mit den weißen Steinen Titas Stremavacius (gegen Kacper Piorun) und Rinat Jumabayev (gegen Jacek Stopa), bis das Brett leergefegt und die Punkteteilung unvermeidlich war. Nur Elham Amar und Eltaj Safarli reichten einander schon nach 20 Zügen die Hände.

Eltaj Safarli war mit einem schnellen Schwarzremis zufrieden. In der siebten Runde hat er Weiß gegen Dmitrij Kollars. | Foto: Sandra Schmidt
Wahrscheinlich wäre auch Marius Deuer am fünften Brett etwas mehr Sicherheit recht gewesen. Stattdessen musste der 16-Jährige mit den weißen Steinen gegen Roven Vogel sehr bald aufpassen, dass ihm sein Katalane nicht um die Ohren fliegt. Umso bemerkenswerter, wie souverän Deuer trotz eines zwischenzeitlichen Minusbauern diese für ihn kritische Partie abmoderierte. Nach 26 Zügen im Angesicht einer kommenden Remisabwicklung offerierte Vogel die Punkteteilung. Auch Vogel und Deuer sind nun Teil der 16-köpfigen Verfolgergruppe, die Kollars mit einem halben Punkt Abstand im Nacken sitzt.

26…Td2 mit Remisangebot. Roven Vogel hatte vorhergesehen, wie Marius Deuer die Partie abmoderieren würde: 27.Lc4 Txb2 28.Lxb3 Txb3 29.Txa2 mit einem für beide Seiten ungewinnbaren Turmendspiel.
Vor dem letzten Turnierdrittel wird es langsam Zeit, über Normen nachzudenken. In Sachen GM-Norm hat Leonardo Costa sich mit einem Sechstrundensieg ebenfalls in die Verfolgergruppe mit 5 Punkten gespielt. Costa und Deuer sind auf Kurs – und nicht nur diese beiden. Turnierdirektor Sebastian Siebrecht sieht zufrieden, dass eine ganze Reihe junger Leute nicht nur aus deutschen Nachbarlanden sich Normperspektiven erarbeitet hat.

Fairnesspreis für Julian Wagner: In der fünften Runde Bodens Matt zu übersehen, kostete Julian Wagner die Partie und um die 30 Elopunkte. Seine Reaktion? Den Sieg des Gegners für den Schönheitspreis vorschlagen. Den gab es zwar nicht, stattdessen honorierte Sebastian Siebrecht die Geste von Wagner. | Foto: Sandra Schmidt
Der 15-jährige Schweizer FM Teimur Toktomushev etwa hat die Zweitrundenniederlage gegen seine Landsfrau Sarah Hund weggesteckt, steht ebenfalls bei 5/6 und darf noch von einer IM-Norm träumen. Allerdings werden mit jedem vollem Punkt die Gegner schwieriger. Nach seinem Sechstrundensieg über IM Axel Heinz vom SV Oberursel wartet nun GM Bartlomiej Heberla, der nach der Null gegen Kollars seinerseits gewinnen muss, um oben dranzubleiben.

Der 15-jährige Österreicher Robert Ernst gehört mit 4,5 Punkten zu denjenigen, die zumindest theoretisch sogar noch eine Normchance haben. Angesichts seiner 2361-Performance bislang darf er dafür in den letzten Runden aber nicht mehr allzu viel anbrennen lassen.
Armenien, Österreich, England, Ukraine, Singapur: Die Internationalität der Offenen Bayerischen Meisterschaften lässt sich an den Nationalitäten der Jugendlichen in der Gruppe der 32 mit 4,5 Punkten ablesen. Sogar in der Gruppe der 58 mit 4 Punkten findet sich die bzw. der eine oder andere mit Perspektive vielleicht sogar auf eine Norm, gewiss auf einen Sonderpreis für die Alters- bzw. Ratinggruppe.

Nicht nur an den Brettern wird um Normen gekämpft: Unter der Obhut von unter anderem Gerhard Bertagnolli (r.) arbeitet Schiedsrichter Steffen Pichot (links) bei den OIBM an seiner letzten Norm für den „International Arbiter“. | Foto: Sandra Schmidt
Zwei Spieler kämpfen derweil um einen internen Familienpreis, ein Kampf, in dem die sechste Runde eine Wende brachte. Mariusz Sajka (Elo 2243) vom SC Garching, in Jugendjahren selbst einer der Besten im Lande, war im vergangenen Jahr nur als Zuschauer bei der OIBM, um zu verfolgen, wie sich sein Sohn Noah Sajka (Eo 1795) schlägt. Diesmal wollte der Papa selbst spielen – und stellte fünf Runden lang fest, dass er mit seinem Junior kaum noch mithalten kann. In der sechsten Runde hat Mariusz Sajka erstmals die Führung im Familienduell übernommen. Mit 4,5 Punkten und einer 2197-Performance liegt er vor Noah Sajka (4/2171).
Momente der sechsten Runde:

20…Lg4, Auftakt zu einer wilden Sequenz. Es droht …Df3 nebst …Txe3, und dagegen hat Weiß nur einen guten Zug: 21.0-0-0. Jetzt mit 21…Lxe2? den Springer zu nehmen, würde wegen 22.Lh6! verlieren. Der einzige Zug für Schwarz, um die Lh6-Drohung aus der Stellung zu nehmen, ist 21…Rxe3! Beide Kontrahenten fanden die richtigen Züge und setzten in diesem Stil fort, bis am Ende doch Weiß triumphierte. Nutakki Priyanka muss deswegen vorerst die Führung in der Frauenwertung nach einer Runde wieder abgeben.

Kleine Taktikaufgabe gefällig? Auch wenn Anand einst genauso verloren hat, besonders schwierig ist es nicht: Warum war Kg2 ein grober Fehler?
Alle Paarungen der 7. Runde
Welches die bemerkenswerteste Partie war, die IM Gerlef Meins in jüngerer Vergangenheit gespielt hat, ist leicht auszumachen. Es war sein Sieg über Vincent Keymer, gespielt, als Ende Mai 2022 im deutschen Mannschaftspokal Meins‘ Club Werder Bremen auf die SF Deizisau trafen. In Ermangelung einer Liveübertragung hat sich der Schreiber dieser Zeilen seinerzeit die Notation besorgt, um die Begegnung der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, lange bevor sie in den Datenbanken auftaucht:
Wer den Keymerskalp am Gürtel hat, den müssen gelegentliche Niederlagen gegen andere nicht mehr grämen. Deswegen soll es nach dieser Vorrede jetzt um den Gewinner dieser Fünftrundenpartie gehen.
Dietmar Fauth vom SK Göggingen war gegen Meins theoretisch und taktisch auf der Höhe. Nominell ist der 73-Jährige gegenüber seinen früheren Ratings ein wenig abgefallen, aber das hindert ihn nicht daran, gelegentlich Meisterklasse abzurufen. So wie in dieser Partie, die die Turnierleitung mit dem Schönheitspreis der fünften Runde prämiert hat:
Im 19. Zug seiner Schwarzpartie der fünften Runde war Robert Heigermoser dann doch aus dem Buch. Der 35-Jährige aus der zehnköpfigen OIBM-Delegation des SC Garching hatte gegen den georgischen IM Bachana Morchiashvili spekuliert, was aufs Brett kommen würde – und Recht behalten. Es folgte eine sehenswerte Dekonstruktion des Makagonov-Königsinders, an dieser Stelle ausführlich kommentiert vom Partiegewinner.