„Schach ist einfach unheimlich cool“: Tykhon Cherniaiev
Die Flucht aus der Ukraine führte Familie Cherniaiev Anfang März 2022 nach Hamburg – dank der Schachverbindung des Sohnes zu ChessBase. Das Softwarehaus stellte den Geflüchteten die Zweizimmer-Dienstwohnung des Unternehmens zur Verfügung und sorgte dafür, dass Tykhon hier zur Schule gehen kann.
Allzu lange währte der Aufenthalt in Deutschland nicht. Schon im August 2022 gingen Cherniaievs nach Warschau, kamen aber wenig später für knapp zwei Wochen nach Deutschland zurück – damit Tykhon an der OIBM 2022 teilnehmen kann. 2023 ist er wieder da – und fand die Zeit für ein Gespräch:
Tykhon, du spielst jetzt im zweiten Jahr in Folge die OIBM. Es scheint dir hier zu gefallen.
Die ruhige, freundliche Atmosphäre rund um das Turnier gefällt mir besonders gut. Ich würde gerne weiter regelmäßig mitspielen, aber ob das klappt, hängt von Umständen ab, die ich nicht beeinflussen kann. Es gibt allerdings eine Sache, die mir nicht gefällt. Das Internet im Hotel ist so instabil, dass ich mich manchmal kaum auf meine Gegner vorbereiten kann.
Du bist im Frühjahr 2022 nach dem Überfall auf die Ukraine mit deiner Mutter und Schwester aus Charkiw nach Hamburg geflohen, während dein Vater blieb, um zu kämpfen. Wie geht es euch?
Wir waren für 4,5 Monate in Deutschland. Im August 2022 sind wir für kurze Zeit in die Ukraine zurückgekehrt. Seit Dezember 2022 leben meine Muter, meine Schwester und ich in Warschau, schon fast seit einem Jahr. Die Crido-Stiftung hilft uns, sie bezahlt eine Unterkunft und unterstützt uns finanziell. Alle anderen Mitglieder meiner Familie sind weiterhin in Charkiw. Die meisten habe ich seit fast zwei Jahren nicht gesehen.
Wie war jetzt die Reise nach Bayern möglich?
Ein Freund hat meine Mutter, meine Schwester und mich eingeladen und angeboten, alles zu organisieren. Die Einladung haben wir gerne angenommen. Ich kannte ja diesen schönen, ruhigen und freundlichen Ort schon vom vergangenen Jahr. Jetzt bin ich froh, wieder da zu sein und die Gegend und die Orte rund um den See erkunden zu können.
Offenbar bist du nicht nur wegen des Schachs hier.
Schach gibt mir die Möglichkeit, interessanten, angenehmen Menschen zu begegnen. Dank Schach lerne ich die verschiedensten Orte kennen, verschiedene Länder und ihre Traditionen. Also sagen wir es doch andersherum: Ohne Schach wäre ich nicht hier, und das wäre schade.
Dank Schach wächst du auch als Mensch.
Schach ist ein wichtiger Teil meines Lebens, in dem ich mich entwickeln und verbessern will. Aber Schach hat mir auch andere Dinge eröffnet, innere Ressourcen. Dank Schach weiß ich, zu was ich in der Lage bin, wie ich mich auf Dinge fokussieren kann. Und dann macht Schach auch noch Spaß! Schach ist einfach unheimlich cool.
Wie balancierst du Schach und Schule?
Ich gehe online zur Schule, bin aus der Ferne Schüler einer ukrainischen Schule. Das gibt mir die Zeit, die ich dem Schach widmen möchte.
Deine Ziele bei der OIBM? Und was kommt danach?
Hier möchte ich einfach schöne, interessante Partien spielen. Was danach kommt, ist vage. Wir planen jedenfalls, Ende des Jahres in die Ukraine zurückzukehren, und dann sehen wir weiter. Für alle Ukrainer gibt es in dieser Zeit nur einen ganz wichtigen Plan: zu überleben.
Tykhon hat seine Partie aus der sechsten Runde für den Schönheitspreis eingereicht – und gewonnen: