Titas Stremavicius über Schach, Poker und das Highlight seiner Karriere
In St. Louis, New York oder Charlotte hat Titas Stremavicius schon Schachturniere gewonnen. In Deutschland nie – was mit dem Umstand zusammenhängt, dass er vor der 27. OIBM erst einmal in Deutschland gespielt hat. Am Tegernsee ging es für den Großmeister aus Litauen prima los: Vier Partien, vier Punkte. Nach der vierten Runde nahm sich Stremavicius die Zeit für ein Interview.
Titas, zum ersten Mal am Tegernsee?
Ja, es ist tatsächlich mein erstes Mal hier, und es ist erst das zweite Mal insgesamt, dass ich in Deutschland spiele. Von Litauen aus ist es zwar nicht so weit, aber irgendwie hat es sich bisher nicht ergeben.
Wie kam es jetzt zu deiner Teilnahme?
Ein Schachfreund von mir, auch aus Litauen, erwähnte das Turnier. Ich schaute es mir an, fand die Kontaktdaten und schrieb eine E-Mail. Sebastian antwortete binnen einer halben Stunde. So kam der Kontakt zustande. Jetzt bin ich hier.
Wie gefällt es dir?
Der erste Eindruck war nicht so toll, weil der Bus am ersten Tag völlig überfüllt war. Aber als ich dann anfing, zum Spielort zu laufen, wurde es viel ruhiger und angenehmer. Auch wenn der Weg etwa 50 Minuten dauert, ist es sehr schön. Der Weg führt am See entlang, die Natur ist wunderbar.
Und schachlich?
Ich versuche einfach, interessante Partien zu spielen. Das Turnier ist ein bisschen langsamer, eine Partie pro Tag, meine Energie sollte ausreichen. Aber im Schach weiß man nie. Ein schlechter Zug kann alles ruinieren.
Bisher kannst du zufrieden sein.
Es läuft gut, auch wenn es schon einige brenzlige Momente gab. In der ersten Runde war ich einer der Letzten, die noch gespielt haben, und heute war ich auch mal in einer schlechteren Position. Aber die Ergebnisse stimmen.
Als Schachfan und Fan der deutschen Nationalmannschaft muss ich dich auf die Schacholympiade ansprechen. Dritte Runde, Litauen gegen Deutschland, Ihr habt überraschend gewonnen, und du hast Vincent Keymer besiegt. Wie lief das Match aus eurer Perspektive?
Wir waren Außenseiter, ganz klar. Die deutsche Mannschaft war an allen vier Brettern deutlich stärker, vielleicht im Schnitt um 150 Punkte. Es war ein großer Überraschungssieg für uns. Viele Dinge mussten gut laufen, um das Match zu gewinnen. Die große Wende ganz am Ende an Brett drei hat das Match gedreht. Mein Sieg gegen Vincent kam schnell zustande. Ich hatte mir sagen lassen, er sei krank und nicht in Topform. In der Partie spielte ich eine Eröffnung, in der er hätte remis machen können, aber ich bin davon ausgegangen, dass er das vermeiden würde. Bis ganz zum Schluss ist er dem Remis ausgewichen, dann der Fehler, …c5-c4, und plötzlich war die Partie für mich gewonnen.
Ist Vincent der höchstbewertete Spieler, den du je besiegt hast?
Ja, mit einigem Abstand. Das war ein Karrierehighlight für mich. Hinterher bekam ich ein paar Gratulationen, aber auf den Ausgang dieses Mannschaftsturniers hatte unser Sieg wenig Einfluss. Deutschland kam unter die ersten 10, wir standen am Ende auf Platz 41.
Bist du Schachprofi?
Im Moment spiele ich mehr oder weniger Vollzeit, aber ich plane eine Veränderung. Ich habe vor zwei Monaten meine Greencard für die USA bekommen und will bald zurückkehren. Vor etwa vier Jahren habe ich in Dallas meinen Abschluss in Finanzen und Wirtschaft gemacht und spiele seither Schach und Poker. Jetzt möchte ich zurück in die USA und wahrscheinlich langfristig mehr in Richtung Poker gehen.
Ist Poker unter Schachspielern noch so verbreitet wie vor einigen Jahren?
Nicht mehr ganz so sehr, aber es gibt nach meiner Wahrnehmung weiter eine große Zahl von Schachspielern im Poker. Genaue Zahlen dazu gibt es nicht, Poker ist in weiten Teilen online und anonym, insofern weißt du von vielen Schachspielern nur, dass sie Poker spielen, wenn sie davon erzählen. Ich mag das Spiel jedenfalls, es ähnelt in mancherlei Hinsicht dem Schach.
Was sind deine Pläne nach dem Tegernsee?
Direkt zurück in die USA. Dort spiele ich erst in einem Rundenturnier und danach bei den US Masters, dem wohl stärksten Open in den Staaten. Dieses Jahr wird auch Fabiano Caruana dabei sein, was das Turnier noch interessanter macht. Fabiano spekuliert auf Punkte für den FIDE Circuit, über den er sich fürs Kandidatenturnier qualifizieren kann.
Stremavicius‘ Drittrundensieg, kommentiert von ihm selbst: