Urlaub.zip

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Von Yvonne Malinowsky

Da war er wieder, der erste Tag.

Der berühmte, der überhöhte, der schillernde Anreisetag. Er, der in der Theorie den Auftakt zu einer Woche der Erholung markiert, in der Praxis aber oft der einzige freie bleibt. Ein Tag voller Möglichkeiten: Sightseeing, Kultur, kulinarische Spezialitäten, Freizeit, Sport, kurz, die komplette Romantik des Nicht-Alltäglichen in einem einzigen Zeitfenster verdichtet.

Die Köpfe sind noch frei, der Geist empfänglich für Genuss. Die Realität mit ihren Partien, Paarungen, Ergebnissen liegt irgendwo in weiter Ferne, hinter dem Horizont der ersten Brotzeit. Aus Erfahrung weiß ich: Was man am ersten Tag nicht schafft, ist verloren. Unwiderruflich. Der Anreisetag ist der Prolog, der nie wiederholt wird.

Der erste Tag am Tegernsee. Was tun? | Foto: Yvonne Malinowsky

Also plane ich ihn inzwischen mit der Präzision eines Schachzugs. Der Wecker klingelt, wenn andere gerade ins Bett gehen. Wir starten nachts, um früh am Ziel zu sein, halb Wahnsinn, halb Lebenskunst. Denn es gilt, die einzige wirklich unbeschwerte Zeit der Woche nicht zu verschlafen.

Ich möchte, dass meine Kinder später nicht sagen: „Ja, wir haben die halbe Welt gesehen“ und damit Hotelzimmer und Spielsäle meinen. Nein, sie sollen sich erinnern: an Land und Leute, an Sprache, Geschichte, Kultur, Traditionen und den feinen Unterschied zwischen Seepromenade und Spiellokal. Jeder Ort hat sein eigenes Funkeln. Man muss es nur rechtzeitig einfangen, bevor es sich im Takt des Turniers verflüchtigt.

Darum beginnen wir, wenn möglich, mit einer Stadtrundfahrt oder -begehung: geballte Information auf engstem Raum, ein Crashkurs im Kulturerlebnis. Der Ort, verdichtet und zusammengeschoben wie in einer kleinen Souvenir-Schneekugel, die man schüttelt, um das Erlebte wieder aufzurufen. So entsteht ein handliches Erinnerungsformat, praktisch und poetisch zugleich.

Celia Malinowsky testet die Doppelseilbahn. | Foto: Yvonne Malinowsky

Unsere Schneekugel vom Tegernsee ist bereits gefüllt, durch unsere Teilnahme im letzten Jahr, ein Meisterwerk an komprimierter Idylle: Einmal im Kreis um den See, 21 Kilometer, joggend oder flanierend, das bleibt jedem selbst überlassen. Wir passieren die Promenade von Bad Wiessee, ziehen weiter Richtung Rottach und Tegernsee „City“, immer den Walberg im Blick, bis nach Gmund. Und da, eine Doppelseilbahn auf einem Kinderspielplatz. Natürlich testen wir sie. Natürlich wird daraus ein Wettrennen. Natürlich endet es remis. Das erste Unentschieden der Woche, errungen in luftiger Höhe, zwischen Lachen und leichter Selbstironie.

Und über allem der feuerrote Morgenhimmel. | Foto: Yvonne Malinowsky

Über allem: ein Morgenhimmel, feuerrot, als wolle er selbst schon für die bevorstehenden Partien brennen. Im Vordergrund: eine Brotzeit am Ufer, am Strand, auf den Steinen, dort, wo der „Sand“ ehrlicher, gröber, bayerischer ist. Und am Abend, ein Paulaner, in der Sorte Spezi selbstverständlich, in einem dieser Wirtshäuser, in denen Holz, Wärme und die Illusion von Zeitlosigkeit ein stilles Bündnis eingehen.

Brotzeit am Ufer, wo der Sand gröber, ehrlicher, bayerischer ist. | Foto: Yvonne Malinowsky

Nie wieder in dieser Woche wird das Essen so gut schmecken wie an diesem ersten Abend, da der Kopf noch unbeschwert ist, die Gedanken noch nicht in Ergebnistabellen verheddert. Der erste Tag hat eine Leichtigkeit, die kein Sieg ersetzen kann.

Das also ist unsere Schneekugel vom Tegernsee. Ich nenne sie Urlaub.zip, eine komprimierte Datei aus Spaß, Sonne, See und Seilbahn.

Urlaub.zip, die Schneekugel vom Tegernsee.

Ich schüttele sie und werde dann diese Woche Stück für Stück mit den Erlebnissen füttern, so wie es Großmeister Sebastian Siebrecht zur Begrüßung in etwas anderer Wortwahl aber sinngemäß empfahl: „Lebt die Woche und die Umgebung, dann lebt auch jede Partie.“

Leben, das ich versuchen werde in den nächsten Tagen hier aufzunehmen, einzufangen und darüber zu berichten. Ich freue mich darauf.