„Vincent Keymer zu besiegen, war nicht vereinbart“: Turnierdirektor Sebastian Siebrecht im Interview
Die 27. Auflage der Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften läuft, einmal mehr unter der Obhut von Turnierdirektor Sebastian Siebrecht. Als nach Monaten der Planung und Vorbereitung am Samstag um 16 Uhr die Uhren liefen, fand Siebrecht die Zeit für ein Interview über seine Arbeit am Tegernsee und seine zahlreichen anderen Schachprojekte.
Sebastian, mehr als 550 Spielerinnen und Spieler. Super, oder?
555 Stand jetzt, Rekord, super, das gab es noch nie. 27 Ausgaben hat es bedurft, um diese schöne Schnapszahl zu erreichen.
Du hast wieder ein internationales Feld mit außergewöhnlichen Spielerinnen und Spielern zusammengestellt.
Das ist jedes Jahr eine Herausforderung, nicht nur für mich, für das ganze Team, das dieses Turnier Jahr für Jahr auf die Beine stellt. Diesmal zum Beispiel kam uns der Europacup dazwischen, der kurzfristig dazu geführt hat, dass es bei uns Veränderungen gab. Jetzt bin ich unter anderem sehr froh, dass wir mit Dmitrij Kollars den amtierenden deutschen Meister hier haben. Von Dmitrij habe ich schon begeisterte Nachrichten bekommen, wie gut es ihm hier gefällt.
Auch die besten deutschen Jugendlichen sind da.
Ja, spannende einheimische Spieler einzuladen, ist stets ein Aspekt. Auch um sie zu fördern und ihnen Normchancen zu geben. Leonardo Costa und Marius Deuer sind bei weitem nicht die einzigen besonderen Talente im Feld, aber sicher diejenigen, die am ehesten für eine Großmeisternorm infrage kommen. Mit Arian Alloussi ist außerdem der beste deutsche U8-Spieler dabei und mit Aadith Ranganathan der amtierende deutsche Meister U8.
Arian spielt trotz Verletzung.
Er ist vom Fußballtor gefallen und hat sich beide Arme gebrochen. Trotzdem hat er an dem Tag noch zwei Partien Schach gespielt. Daran kann man sehen, wie sehr Arian das Spiel liebt. Abends wurden die Schmerzen dann so schlimm, dass ihn seine Mutter ins Krankenhaus gefahren hat. Er ist operiert worden und auf dem Weg der Besserung. So ein Missgeschick hält ihn nicht davon ab, hier mitzuspielen.
Der Schachfan in mir hat kurz gezuckt, als ich in der Teilnehmerliste den Namen Titas Stremavacius las.
(lacht) Bei der Einladung war nicht vereinbart, dass Titas bei der Schacholympiade Vincent Keymer besiegt und die Litauer Deutschland. Aus meiner Sicht ein spannender Spieler aus einem Land, von dessen Schach man sonst eher wenig hört. Ganz anders Venkartaram Karthik aus der Schachnation Indien, der bis Freitag noch ein anderes Turnier gespielt hat – genau wie Rinat Jumabayev aus Kasachstan, auch das ein interessanter Mann, der einen ganz eigenen Weg geht. Im Sommer hat er das Meister-Open in Biel gewonnen. Rinat wollte ich unbedingt im Feld haben. Ihn habe ich noch Freitagnacht vom Bahnhof abgeholt.
Wer gewinnt den Frauenpreis?
Oh, da gibt es einige Kandidatinnen. Nominell ist Kateryna Dolzhykova leicht favorisiert. Knapp dahinter lauern in der Setzliste WIM Yalizaveta Hrebenshchykova aus der Ukraine und WGM Nutakki Priyanka aus Indien. Auch WGM Lena Georgescu aus der Schweiz traue ich zu, oben mitzuspielen.
Bei dir haben sich neben OIBM und Faszination Schach einige weitere Projekte ergeben. Wird es langsam schwierig, all die Hochzeiten zu koordinieren, auf denen du tanzt?
Das habe ich noch ganz gut im Griff. Trotzdem, bei aller Begeisterung für die Sache freue ich mich auf ein wenig Pause am Jahresende. Nach der OIBM wird etwas Ruhe einkehren, aber mein Blick geht schon nach Singapur, wo vor der WM Magnus Carlsen und Fabiano Caruana ein Freestyle-Match spielen werden. Das neue Jahr wird dann die erste Saison der weltweiten Freestyle-Tour und -Weltmeisterschaft bringen. Die beginnt schon im Januar mit einer offenen Online-Qualifikation. Details dazu werden wir bald veröffentlichen.
Auch abseits der Freestyle-Turniere für Supergroßmeister ist aus deiner Zusammenarbeit mit Jan Henric Buettner einiges erwachsen.
Jans Ideenreichtum, Energie und Begeisterung sind ein großes Glück fürs Schach. International will er mit Freestyle den Sport in neue Höhen führen, national hilft er unseren Talenten mit der Weissenhaus-Akademie. Daraus wiederum ist die Zusammenarbeit mit dem Hamburger SK und dem FC St. Pauli entstanden. Als in St. Pauli die Magnus-Carlsen-Verpflichtung bekannt wurde, mussten sich sogar die Fußballer des Clubs hintenanstellen. Die Aufmerksamkeit von Sportdeutschland gehörte für ein paar Tage vor allem der Schachabteilung.
Wie ist die Akademie entstanden?
Als wir während des ersten Freestyle-Turniers in Weissenhaus ein Trainingscamp für die besten Jugendlichen veranstaltet haben, kam die Idee auf, die nächste Generation nachhaltig zu fördern. Einen Gründungsakt gab es gar nicht. Wir haben das besprochen, Jan fand es gut und wichtig, und dann haben wir es gemacht. An der Stelle ticken wir ähnlich. Wir peilen ein Ziel an, überlegen, was machbar ist, und dann geht es unmittelbar an die Umsetzung. Die Dinge entwickeln sich während des laufenden Prozesses.
Mit Leonardo Costa, Marius Deuer und Arian Alloussi sind jetzt drei der Weissenhaus-Talente hier am Tegernsee. Das hängt bestimmt mit deiner Person zusammen.
Vielleicht ein wenig. Die Jungs wissen und sehen, dass ich mich immer bemühe, ihnen die besten Möglichkeiten zu geben, sich zu entwickeln. Aber die OIBM ist unabhängig von meiner Person ein großartiges Turnier mit guten Normchancen und einem funktionierenden Umfeld. Ich nehme an, dass sie vor allem deswegen hier sind.