Außenseiter und ein Favorit

Vier Runden gespielt, fünf Spieler noch bei 100 Prozent. Das bisherige Favoritenstraucheln bei der OIBM 2023 lässt sich daran ablesen, wer vorne steht: Jiri Stocek, ein etablierter Großmeister gewiss, aber eben „nur“ die nominelle Nummer sieben des Feldes. Und wenn es jetzt so bleibt, dass am ersten Brett der Topgesetzte der 100-Prozentigen Federn lässt, dann könnte am Mittwochabend ein Außenseiter mit 100 Prozent das Feld anführen. Favoriten mit 100 Prozent gibt es ja außer Stocek nicht mehr.

Alle Spieler über 2500 haben schon Federn gelassen – bis auf ihn: Jiri Stocek. | Foto: Sandra Schmidt

Niklas Schmider wäre ein Kandidat für eine Überraschung. Schon in der ersten Runde hat der Youngster der OSG Baden-Baden die (potenzielle) Kombi des Turniers aufs Brett gestellt. Jetzt in der vierten hat er den zweiten GM-Skalp in Folge eingeheimst. Nach Kenny Solomon besiegte Schmider in der vierten Runde Christian Bauer – obwohl es danach lange nicht ausgesehen hatte:

Nach Enginemaßstäben steht Weiß platt, aber Schwarz muss hier das nicht triviale 27…Th7! finden. Alternativ könnte er das nicht ganz so kräftige und ebenfalls alles andere als offensichtliche 27…Lh3 finden, um am Drücker zu bleiben. Bauer zog stattdessen das naheliegende 27…Dxh6?, was Schmider sogleich mit dem taktischen Schuss 28.Lf8! konterte. Danach mischt Weiß wieder munter mit. Womöglich von seinem Überseher angeschlagen, verlor Bauer in der Folge den Faden, und die Partie kippte vollends.

Einen Tisch weiter sahen die Zuschauenden eine einseitige Angelegenheit zwischen Stocek und dem österreichischen IM Mario Schachinger. Nach Stoceks kräftigem 17.d5! war die Sache quasi gelaufen.

Am dritten Brett bestätigte OIBM-Stammgast Dieter Morawietz, was gerade erst Kateryna Dolzhykova im Gespräch mit der Turnierseite erklärt hat: Wer ambitioniert Schach spielen will, muss körperlich fit sein. Morawietz ist so fit, dass er morgens auf dem Fahrrad jeglichem Wetter sowie allen Steigungen trotzt und nachmittags immer noch die Energie hat, einen Großmeister zu besiegen.

Spätestens mit 25.Dxf4 kündigte sich ein weiterer Favoritensturz an. h6 hängt, c7 hängt, da ist nicht viel zu machen, Schwarz wird ein Bauer verloren gehen. Der Versuch, etwa mit 25…Txe1 26.Txe1 Kg7? alles zu decken, ist untauglich, dann entscheidet die kaputte Königsstellung die Partie. 27.Te3 nebst Schwenk und aus.

Roven Vogel könnte einer aus der Reihe der Nicht-GM sein, der das Straucheln der Favoriten für sich nutzt. Der Dresdner IM ist mit Rückenwind am Tegernsee angekommen. Unlängst hat er beim Dresdner GM-Turnier in Gedenken an Wolfgang Uhlmann eine Großmeisternorm eingeheimst. Warum nicht gleich die zweite anpeilen? Am Dienstag gewann Vogel gegen Hussain Besou, der gerade erst erklärt hat, ebenfalls GM werden zu wollen – mittelfristig.

Der Sizilianer zwischen dem Zwölfjährigen und dem einstigen U16-Weltmeister war lange umkämpft. Hier allerdings neigte sich die Waage deutlich zugunsten Vogels. Sxf4 wird mit …Txc3! beantwortet.

Und die bisherige Turniersensation Liya Kurmangaliyeva? Die Kasachin spielte mit den Schwarzen Steinen gegen den indischen GM Gopal eine Partie auf Augenhöhe – bis dieses Missgeschick passierte:

Ups. Jetzt Dc3, und es hängen zwei Figuren.

Die Paarungen der fünften Runde.