Strahlende Sieger mit Organisatoren: Jiri Stocek (M.) gewann das Turnier punktgleich vor Maxime Lagarde (2.v.r.). Roven Vogel (2.v.l.) wurde Dritter und erspielte sich GM-Norm sowie den Titel. Veranstaltungsleister Peter Rie (l.) und Turnierdirektor Sebastian Siebrecht (r.) gratulierten. | Foto: Sandra Schmidt

Jiri Stocek hat die Offene Internationale Bayerische Meisterschaft 2023 gewonnen. Mit 7,5 Punkten aus 9 Partien erklomm der 46-jährige Tscheche in der letzten Runde die Tabellenspitze. Gleichauf liegt der französische Großmeister Maxime Lagarde, der aufgrund der schlechteren Wertung mit dem zweiten Platz vorliebnehmen muss.

Endstand nach 9 Runden

Rg. Snr Name sex Land EloI EloN Verein/Ort Pkt.  Wtg1  Wtg2
1 7
GM Stocek, Jiri CZE 2535 2509 SC Bavaria Regensburg von 1881 7,5 2392 49,5
2 1
GM Lagarde, Maxime FRA 2626 2607 SC Ötigheim 7,5 2238 47,5
3 12
IM Vogel, Roven GER 2471 2487 USV TU Dresden 7 2406 52
4 2
GM Gopal, G.N. IND 2573 0 Ernakulam 7 2378 52
5 14
GM Golubka, Petro UKR 2434 0 Kraków 7 2368 49
6 70
FM Kurmangaliyeva, Liya w KAZ 2236 0 Almaty 7 2364 50
7 3
GM Mastrovasilis, Dimitrios GRE 2573 2605 SK König Plauen 7 2347 50
8 9
GM Vetoshko, Volodymyr UKR 2499 2502 Sfr. Bad Emstal/Wolfhagen 7 2326 48,5
9 8
GM Kulaots, Kaido EST 2508 2502 SK 1908 Göggingen 7 2306 48,5
10 6
GM Van Foreest, Lucas NED 2540 2539 SAbt SV Werder Bremen 7 2303 48
11 4
GM Bauer, Christian FRA 2552 2583 SC Ötigheim 7 2297 47,5
12 13
IM Schneider, Ilja GER 2468 2435 HSK Lister Turm 7 2291 49,5
13 5
GM Petrov, Nikita MNE 2551 0 Becici 7 2280 49
14 29
Reimann, Sebastian GER 2342 2351 SK Kriegshaber 7 2265 46,5
15 23
FM Hess, Max GER 2378 2389 SC Garching 1980 7 2221 45,5
16 25
IM Manish, Anto Cristiano F IND 2368 0 Chess Gurukul, Chennai 7 2194 46,5
17 21
FM Meißner, Felix GER 2382 2400 Hamburger SK von 1830 7 2173 44

Im Lauf der letzten Runde wechselte die Tabellenführung zweimal. Zu Beginn hatte der ukrainische Großmeister Petro Golubka alleine einen halben Punkt vor der Konkurrenz geführt. Aber er traf zum Schluss auf den elostärksten aller Teilnehmer, Maxime Lagarde. Golubka versuchte, mit einer französischen Abtauschvariante früh die Luft aus der Stellung zu lassen. Es entstand eine technische Partie, in der der Franzose Zug um Zug seinen Vorteil vergrößerte, bis ein Endspiel erreicht war, das dank eines Mehrbauern, zweier verbundener Freibauern und eines aktiveren Königs gewonnen sein sollte. Das war es auch – bis zum 66. Zug:

66…a2, oje. 67.g6! hätte Weiß zurück in die Partie gebracht. Er würde sich in ein Endspiel Turm gegen Turm und Springer retten können. Golubka ließ diese Chance verstreichen.

Golubka verpasste die Chance, die Partie zu retten. Wenig später gab er sich geschlagen, und Lagarde stand vorne. Aber während von den anderen Spielern mit 6,5 Punkten keiner einen weiteren vollen Punkt einfahren sollte, kämpfte Stocek mit den schwarzen Steinen in einem besseren Turmendspiel weiter. Eigentlich war es, getreu dem Stil des studierten Astronomen, eine wilde Partie gewesen, die aber in eine technische Aufgabe mündete.

Wie so häufig bei Jiri Stocek stand auch diesmal bald das Brett in Flammen. Aber das Inferno mündete in eine 89-zügige technische Angelegenheit.

Was theoretisch nicht zu gewinnen ist, knetete Stocek dennoch unermüdlich, um Lagarde noch zu überholen. Im 69. Zug mahnt die Tablebase den entscheidenden Fehler auf weißer Seite an, ein Königszug nach c2, wo nur ein Königszug nach c3 die Stellung im Gleichgewicht gehalten hätte. Was immer den entscheidenden Unterschied zwischen diesen fast identischen Zügen ausmachen mag, Stocek erreichte wenig später tatsächlich eine auch für Menschen offensichtliche Gewinnstellung: König und Dame gegen König und Turm. Auch das alles andere als eine triviale Aufgabe, die aber Stocek leicht bewältigte. Nach 89 Zügen war die Partie gewonnen – und das Turnier.

Turniersieger Jiri Stocek, studierter Astronom, bei der Schacharbeit am Tegernsee. | Foto: Sandra Schmidt

Im halben Dutzend derjenigen, die vor der letzten Runde das Turnier gewinnen konnten, findet sich einer, für den es um noch mehr ging. Roven Vogel wollte nicht zum Schluss die Großmeisternorm verspielen, auf die er in den Runden zuvor hingearbeitet hatte. Dafür durfte er mit Schwarz gegen GM Nikita Petrov nicht verlieren. Was aussah wie ein Schreckmoment, entpuppte sich als nicht so schlimm:

17.Sxf7, huch. Aber es geht nicht um den schwarzen König, sondern darum, im nächsten Zug per g2-g4 den Lf5 zu erobern.

Die Partie versandete bald, damit waren beide aus dem Rennen um den Turniersieg, aber Vogels Norm war unter Dach und Fach, seine vierte und entscheidende. Mit diesem starken Turnier hat der Dresdner jetzt auch seine Elozahl über die erforderliche 2500-Marke gehoben, sodass er den höchsten Titel im Schach beantragen kann und aller Voraussicht nach bekommen wird. Zum Titel kommt für Vogel noch der dritte Platz. Als bester deutsche Spieler im Turnier führt er dank seiner guten Wertung die 15-köpfige Gruppe derjenigen an, die bei 7/9 aufgeschlagen sind.

Großmeister (sic) Roven Vogel jubelt eher innerlich.

Beinahe hätte die OIBM 2023 zwei Spielern eine GM-Norm beschert. Auch Niklas Schmider brauchte in der letzten Runde gegen den griechischen GM Dimitrios Mastrovasilis einen halben Punkt. Dann, die Nerven?, passierte ausgangs der Eröffnung dieses:

Jetzt 12…e5, dann …Lg4, Qualle weg. Aber Schmider biss sich rein und hätte beinahe den zur GM-Norm fehlenden halben Punkt bekommen.

Schmider blieb in der Partie, erkämpfte sich Kompensation für die Minusqualität und war bis tief ins Endspiel ganz nahe an der Norm. Am Ende hat es nicht ganz gereicht. Gleichwohl kann sich FM Schmider über eine IM-Norm freuen. Die hatte er schon zwei Runden vor Schluss sicher, so stark war sein Auftritt am Tegernsee.

Zwei weitere IM-Normen gehen an Liya Kurmangaliyeva und Jolanta Zawadzka. Nach einem Raketenstart, unter anderem mit einem Sieg über Lagarde, und einem Durchhänger beendete Kurmangaliyeva das Turnier mit vier Siegen am Stück. Performance der Kasachin: 2532, 7 Punkte, Platz 6 in der Abschlusstabelle.

IM-Norm gemacht, WGM-Titel eingetütet, dazu Platz 6 in der Gesamtwertung: Liya Kurmangalieva, Turniersensation. | Foto: Sandra Schmidt

Kurios an der IM-Norm für Zawadzka: Es ist schon ihre 14.! Auch ihr Elo war schon über 2400, sodass die polnische WGM längst IM sein könnte. Sie wolle nicht die Gebühr für den Titel bezahlen, erklärte sie Turnierdirektor Sebastian Siebrecht, als der sie fragte, warum sie nie den IM-Titel beantragt hat.

Jolanta Zawadzka, die Frau mit den 14 IM-Normen. | Foto: Sandra Schmidt

Zur 14. IM-Norm, 6,5 Punkten und Platz 19 in der Gesamtwertung kommt der Preis für die beste Frau, den Zawadzka gewann, da Kurmangaliyevas Preis für den 6. Platz höher dotiert war als der Frauenpreis.

Tykhon Cherniaiev auf Twitter.

Das Rennen um den U14-Preis zwischen Tykhon Cherniaiev und Hussain Besou entschied der Ukrainer für sich. Beide hatten vor der letzten Runde mit 6 Punkten gleichauf gelegen. Während Cherniaiev gegen Dieter Morawietz, Gewinner des Ü60-Preises, remisierte, unterlag Besou sehenswert gegen Christian Bauer:

Dank dieser Demonstration gegen Hussain Besou, dem die Eröffnung misslungen war, schaffte Christian Bauer noch den Sprung in die Gruppe derjenigen mit 7 Punkten – und gewann den letzten im Turnier zu vergebenen Schönheitspreis.

Den U16-Preis sicherte sich FM Matic Lavrencic aus Slowenien mit 6 Punkten. Der U18-Preis ging in die USA: IM Kirk Ghazarian, derzeit auf Europa-Schachtournee, reichten ebenfalls 6 Punkte, um vorne zu stehen.

Sonst räumt sein großer Bruder Hussain die Preise ab, am Tegernsee gewann Jad Besou (7) – den Sonderpreis für den jüngsten Teilnehmer. Alfred Schattmann (89) wurde als ältester Teilnehmer geehrt und verriet bei dieser Gelegenheit, dass er am 5. März Geburtstag feiert, dem gleichen Tag wie Siegbert Tarrasch. Da trifft es sich, dass Schattmann als einer der führenden Tarrasch-Kenner gilt. Für welchen Verein er spielt? Ist doch klar: SK Tarrasch 1945 München. | Foto: Sandra Schmidt

 

 

“Leningrader, zum Schluss etwas taktisch”, so beschreibt Lars Heppert seinen Sieg aus der achten Runde, den er kommentiert eingesandt hat.

Lars Heppert. | Foto: Sandra Schmidt

In ein spanisches Theorieduell hatte sich Marcus Zemtzer begeben, allerdings in Theorie, die seiner Seite ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellt. Und so geht Zametzer in seiner selbstkommentierten Partie hart mit sich ins Gericht – bis zu der Stelle, an der die Partie kippt und sie Zametzer mit einer schönen Angriffsleistung zu beenden vermochte.

Marcus Zametzer. | Foto: Sandra Schmidt

Petro Golubka hat die Tabellenführung verteidigt. Am Ende einer umkämpften, fast durchgehend messerscharfen Partie in der Vorschlussrunde teilten der ukrainische Großmeister und IM Ilja Schneider die Punkte.

Intensives Duell: Petro Golubka (rechts) gegen Ilja Schneider. | Foto: Sandra Schmidt

Mit nun 7 Zählern liegt Golubka vor 9 Verfolgern, die ihm mit 6,5 Punkten auf den Fersen sind, darunter Schneider, darunter auch der nominelle Turnierfavorit Maxime Lagarde, der sich mit seinem Achtrundensieg wieder nach oben gekämpft hat. Nach zwischenzeitlichem Abtauchen wird Lagarde das Turnier an dem Brett abschließen, an dem er es begonnen hat, dem ersten. Mit Schwarz trifft er auf Golubka.

Wird er Königsmacher? Krönt er sich am Ende selbst? Nach durchwachsenem Start ist Maxime Lagarde wieder am ersten Brett angekommen. | Foto: Sandra Schmidt

Lagarde ist nicht der einzige Arrivierte, der ganz zum Schluss wieder ganz oben mitmischt. Auch die zurückhaltend gestarteten Großmeister Nikita Petrov und Lucas van Foreest haben zu einem Endspurt angesetzt. Beide finden sich in der Gruppe derjenigen, die mit 6,5 Punkten Lauerstellung bezogen haben.

Die Einladung zu 15.Lc7 war eine vergiftete. Es folgte 15…Sxc7 16.a5 Dxb5! (nicht 16…Dc6? 17.Se5), und in der Folge sollte Schwarz überzeugend nachweisen, dass drei Figuen besser sind als eine, auch wenn es die mächtigste ist.

Um mehr als den Turniersieg ging es am dritten Brett zwischen den Verfolgern Roven Vogel und Niklas Schmider. Beide kämpfen um eine GM-Norm – und wie! Auch hier ein scharfes, hochklassiges, beiderseits mit heruntergeklapptem Visier geführtes Duell:

Roven Vogel (links) gegen Niklas Schmider. | Foto: Sandra Schmidt

Beide haben sich damit die Normchance erhalten. Vogel (Schwarz gegen GM Nikita Petrov) sowie Schmider (Weiß gegen GM Dimitrios Mastrovasilis) wird in der neunten Runde ein halber Punkt für die Norm reichen. Wollen sie das Turnier gewinnen, muss allerdings ein voller Zähler her. 7,5 Punkte werden erforderlich sein, um den ersten Platz zu belegen bzw. ihn zu teilen.

Gegen Tegernsee-Stammgast Dimitrios Mastrovasilis darf Niklas Schmider nicht verlieren, will er sich eine GM-Norm sichern. | Foto: Sandra Schmidt

Sollte es Vogel schaffen, wäre es gar seine vierte GM-Norm nach Bundesliga 2016/17, 2022/23 und Dresdner GM-Turnier 2023 . Trotzdem wäre sie entscheidend, weil Vogels ersten drei Normen einer FIDE-Vorgabe nicht gerecht werden: Eine der drei notwendigen Normen für den Großmeistertitel muss bei einem Schweizer-System-Turnier erzielt worden sein. Wegen dieses Passus konnte Vogel bislang den Titel nicht beantragen.

Zwei IM-Normen sind bei der OIBM 2023 schon verbucht. Zu Niklas Schmider, der die IM-Norm schon zwei Runden vor Schluss sicher hat, gesellt sich Liya Kurmangaliyeva, die in der zweiten Runde mit ihrem Sieg über Lagarde hatte aufhorchen lassen und danach stark weiterspielte. 6 Punkte und eine Performance von knapp 2500 stehen bislang zu Buche. Jolanta Zawadzka, 5,5 Punkte, ist noch im Rennen um die Norm.

Dieter Morawietz führt in der Ü60 mit einem halben Punkt vor drei Verfolgern. | Foto: Sandra Schmidt

Nicht nur an der Tabellenspitze tobt ein offener Kampf, auch in den Rating- und Sondergruppen. Nur in der Ü60-Gruppe führt ein Spieler alleine, Dieter Morawietz mit 6 Punkten, und in der Gruppe Elo 1600-1899, Christian Strahl mit 5,5 Punkten. In der U14 haben sich Tykhon Cherniaiev und Hussain Besou mit jeweils 6 Punkten um einen Zähler von der Konkurrenz abgesetzt.

Momente der achten Runde:

EIn Königszug der gewinnt. Versucht Schwarz per 31…d5 wenigstens die offene Schneise a2-g8 zu schließen, begnügt sich Weiß mit der h-Linie. Erst den einen Turm rüber, dann den anderen, dann Schach auf der 8. Reihe, und Weiß gewinnt entscheidend Material.

Im Bemühen, die Sache zu vereinfachen, ist Schwarz ein Fehler unterlaufen: 24.Lxe7 – und aufgegeben. Egal wie Schwarz zurückschlägt, es folgt Sxd5!

Das überraschende 31…Txg3 wäre kein Rettungsanker gewesen, hätte Weiß 32.Dh4 gefunden. Das 32.fxg3? rettet sich Schwarz tatsächlich ins ewige Schach.

1.e4 e5 2.Sf3 De7. Die Schachfreunde Fedoseev, Radjabov oder Xiong haben schon so gespielt, wenngleich in Blitzpartien von überschaubarer Bedeutung. Dieses Trio würde zustimmen, dass eine Reihe besserer zweiter Züge möglich sind. Andererseits: Den Gegner aus dem Konzept zu bringen, ihn mit einer kleinen Vorgabe unter Druck zu setzen, kann auch positive Auswirkungen haben.

Laertes Neuhoff. | Foto: Sandra Schmidt

Vielleicht hätte Laertes Neuhoff ja von Beginn an kräftiger fortgesetzt, wäre der 2…De7-Spieler kein mehr als 300 Elo stärkerer FM gewesen. Aber was dem 13-Jährigen aus Leipizig in der Eröffnung an Schwung fehlte, das holte er im Mittelspiel mehr als nach. Nicht nur ein Sieg sollte es werden, sondern sogar ein so schöner, dass Neuhoff ihn einsandte, damit möglichst viele Leute Freude daran haben.

9 Punkte aus 10 Partien! Bei der Schacholympiade im vergangenen Jahr war Jana Schneider kaum zu stoppen. Jetzt steht für die Nationalmannschaft der Frauen um Jana Schneider der nächste große Wettbewerb an, die Europameisterschaft. Ihre Vorbereitung absolviert die Psychologiestudentin am Tegernsee bei der OIBM.

Jana Schneider. | Foto: Sandra Schmidt

Vor der siebten Runde nahm sich Tegernsee-Stammgast Jana Schneider die Zeit für ein kurzes Gespräch über das laufende Turnier und kommende Aufgaben:

Jana, du bist Stammgast am Tegernsee. Wie kommt das? Was macht die OIBM für dich aus?  

Tatsächlich ist die OIBM mittlerweile eine Art Traditionsturnier für mich. Ich bin jedes Jahr hier. Begonnen hat diese Tradition vor vielen Jahren, als die bayerische Mädchenmeisterschaft am Tegernsee stattfand. Hier hat es unserer Familie immer gefallen. Ich habe Schach gespielt, die anderen Urlaub gemacht. So habe ich irgendwann angefangen, am Open teilzunehmen, und dabei ist es geblieben.  

Du hast am Vorabend dieses Gesprächs eine Partie verloren. Darf ich trotzdem fragen, wie es läuft?  

Die Niederlage hat mich geärgert, aber jetzt ist es wieder okay, ich habe eine Nacht darüber geschlafen. Das Turnier ist mir auch wichtig als Vorbereitung für die Team-Europameisterschaft, zu der ich hinterher fliege. Eine Norm kann ich nach der Niederlage gestern zwar nicht mehr schaffen, aber ich würde hier gerne mit einem guten Gefühl raus- und ins nächste Turnier reingehen. Insofern möchte ich schon noch ein paar Partien gewinnen.  

Ist ein Turnier direkt vor der Europameisterschaft wirklich gute Vorbereitung? Man könnte auch argumentieren, dass du die Zeit für theoretische Arbeit und Training nutzen könntest.  

Eine knappe Woche Pause bis zur EM habe ich ja. Unser Bundestrainer Yuri Yakovich hat mir empfohlen, vor der EM auf jeden Fall ein Turnier zu spielen, damit ich warmgespielt bin. Meine Eröffnungen sitzen besser, wenn ich hier vor der EM gezeigt bekomme, was ich alles falsch mache (lacht). Aber tatsächlich spiele ich hier ein bisschen ressourcenschonend.  

Um dann bei der EM mit einer jungen, ambitionierten Mannschaft zu glänzen? Ihr seid an drei gesetzt. 

Wir sind ambitioniert. Im Verlauf der vergangenen Jahre haben wir uns kontinuierlich gesteigert, zumindest fühlt es sich für mich so an. Dieses sollte die stärkste Mannschaft sein, mit der wir seit langem bei einer Europameisterschaft angetreten sind. Wir werden auf jeden Fall versuchen, die Medaillenplätze anzugreifen. 

Jana Schneider bei der Schacholympaide 2022 in Chennai/Indien.

Im Dezember steht dann schon das “Masters” an, das Turnier der besten deutschen Spielerinnen, dieses Jahr in Bayern, quasi ein Heimspiel für dich. Nachdem ihr kurz zuvor Seite an Seite gemeinsam um EM-Medaillen gekämpft habt, werdet ihr einander als Gegnerinnen gegenübersitzen.  

Gegeneinander statt miteinander, das fühlt sich immer etwas komisch an. Aber zwischen EM und Masters liegen ein paar Wochen, die ich nutzen kann, um in das andere Mindset zu kommen. Meine bisherigen Masters habe ich so erlebt, dass wir abseits der Partien ganz normal miteinander umgehen und auch gemeinsam essen gehen können oder sowas. Es ist jetzt nicht, als würde dort Feindschaft ausbrechen. 

Was macht über all dem Schach dein Psychologie-Studium? 

Im April habe ich den Master begonnen, ich studiere weiterhin in Würzburg. 

Was ist gerade wichtiger? 

Aktuell hat Schach und speziell die Nationalmannschaft den höheren Stellenwert. Ich kann in diesem Semester wenige Kurse absolvieren, weil ich so viel unterwegs bin. Aber das ist okay so. Die Zeit fürs Studium muss ich mir später nehmen, gegebenenfalls das Studium verlängern.  

Und danach? 

Das werden wir sehen. Ich weiß noch nicht genau, was ich mache. Ob ich vielleicht wie Josefine eine Zeitlang komplett auf Schach setze oder nicht, ist offen.  

Winfried Basener (Stiftung BSW – SG München) schickt uns eine Kontersieg gegen einen fast 300 Elo stärkeren Gegner. Davon agespornt, sollte Basener in der Runde danach sogar einen FM niederringen. | Foto: Sandra Schmidt

Ein doppeltes Figurenopfer spielt sich leichter, wenn das “geopferte” Material sogleich mit Mattzins wieder hereinkommt. Der ewig neuralgische Punkt f7 ist das Thema einer Partie mit hübschem Einschlag inklusive Mattfinale, die uns Andreas Schneider zugesandt hat.

Andreas Schneider. | Foto: Sandra Schmidt

Petro Golubka macht beim klassischen Schach weiter, wo er am Mittwoch beim Blitzturnier aufgehört hat. Der Ukrainer gewinnt eine Partie nach der anderen. Nach der siebten Runde und einem Schwarzsieg über Kaido Kualots ist Golubka mit 6,5 Punkten aus 7 Partien nun erstmals Tabellenführer. Elo-Performance des 34-Jährigen: 2698.

15.e5, erfindungsreich vorgetragen von Kaido Kualots. 15…Dxe5 16.Lf4 Dd4 17.Lxb5 ist die taktische Rechtfertigung. Zu Vorteil führt das allerdings kaum. In der Folge überspielte Golubka seinen fast 100 Elo stärkeren Widersacher nach und nach.

Fünf Verfolger mit 6 Punkten sitzen ihm im Nacken, darunter zwei, die auf GM-Norm-Kurs segeln: Roven Vogel vom Bundesligisten USV/TU Dresden sowie Niklas Schmider vom Deutschen Meister OSG Baden-Baden. Für IM Vogel weniger relevant, für FM Schmider umso mehr: Die IM-Norm haben beide zwei Runden vor Schluss schon geschafft.

26…Dg3, das sieht auf den ersten Blick bedrohlich aus für Weiß und gewinnt nach 27.Dg1 Dxd3 ja auch einen Bauern. Danach allerdings werden die beiden Probleme der schwarzen Stellung spürbar: Der im Zentrum klebende, offene König und der auf a8 klebende, unbeschäftigte Turm.

In der siebten Runde können sie dem jeweils anderen in die GM-Norm-Suppe spucken; sie treffen aufeinander. Wahrscheinlich muss sich in erster Linie Niklas Schmider auf einen harten Kampf einstellen. Roven Vogel, nomineller Favorit mit den weißen Steinen, wird wenige Wochen nach seinem Sieg beim GM-Turnier in Dresden und mit der zweiten GM-Norm binnen kurzer Zeit vor Augen nicht friedlich gestimmt sein.

Niklas Schmider hat die IM-Norm schon eingetütet. Es ist noch mehr drin als das. | Foto: Sandra Schmidt

Wie ambitioniert Vogel bei der OIBM zur Sache geht, bekam in der siebten Runde Geetha Narayanan Gopal zu spüren. Gegen den indischen Großmeister hatte sich der Sachse ein Damenendspiel mit 3 vs. 2 Bauern am Königsflügel erarbeitet – vorteilhaft, ja, aber theoretisch nicht und praktisch kaum zu gewinnen.

Das hielt Vogel nicht davon ab, es zu versuchen. Während um die beiden herum eine Partie nach der anderen endete, knetete Vogel 81 Züge lang, bis wirklich gar nichts mehr ging. Gopal gehört nach dieser Punkteteilung nun ebenfalls zum Quintett derjenigen, die dem Spitzenreiter auf den Fersen sind. In der achten Runde trifft er mit Schwarz auf den punktgleichen Jiri Stocek.

Fast alle anderen sind fertig, Vogel knetet noch. | Foto: Sebastian Siebrecht

Anders als für Vogel und Schmider ist für Ilja Schneider, ebenfalls 6 Punkte, bei der OIBM keine GM-Norm mehr drin (es wäre die dritte und der Titel). Ohnehin pflegt Schneider seine GM-Normen in der Bundesliga zu erzielen. Nach 2012/13 und 2015/16 bietet sich ihm diese Gelegenheit in der Serie 22/23 als Anführer des Aufsteigers HSK Lister Turm.

Keine GM-Norm für Ilja Schneider. Aber vielleicht der Turniersieg? | Foto: Sandra Schmidt

Am Tegernsee geht es für ihn um nicht weniger als den Turniersieg. In der siebten Runde mit Schwarz gegen den Wunderknaben Hussain Besou gewann Schneider, wie er hinterher anmerkte, “eine der besten Partien meines Lebens”. Mit Weiß gegen Golubka hat er in der achten Runde nun die Chance, den alleinigen Tabellenführer zu entthronen.

Mit 25…a5 setzt sich der potenzielle Partiegewinner in Bewegung. Auf g7 freut sich schon jemand, entscheidend helfen zu können.

Und die anderen Großmeister? Turnierfavorit Maxime Lagarde meldete sich mit einem Sieg zumindest in Sichtweite der Tabellenspitze zurück. Mit 5,5 Punkten wird er ganz oben wahrscheinlich nicht mehr eingreifen können.

19.Le3, das war ein Fehler. Jetzt kommt 19…d4!, dann hängt der Läufer und, oje, es droht …Dd5 mit Doppelangriff auf g2 und b5.

Lagardes Landsmann Christian Bauer tat sich schwer gegen Laura Unuk. Einen Mehrbauern hatte er sich zwar erkämpft, aber das raffinierte schwarze Gegenspiel hielt die Partie stets (mindestens) in der Waage. Bauer, nominelle Nummer 4 des Feldes, steht mit 5 Punkten auf Rang 22.

31…Lf3, unantastbar. Wenn Weiß ihn nimmt, kommt 32…Dg6+ und dann Turm hoch und aus.

Ebenfalls bei 5 Zählern steht der in Hongkong lebende und arbeitende Kolumbianer GM Andres Felipe Gallego Alcaraz. Viel Zählbares wird er vom Tegernsee voraussichtlich nicht mit heimbringen – aber manch wertvolle Ergänzung seiner Schachbibliothek:

Gallego kauft ein. | Foto: Sebastian Siebrecht

Die Glanzpartien, die Leserinnen und Leser dieses Turnierblogs einsenden, hatten bislang eines gemeinsam: Die Partie wurde stets von der Siegerin oder dem Sieger eingesandt. Jetzt ist eine Ausnahme passiert. Ein Verlierer war so entzückt von der erlittenen Klatsche, dass er die Gewinnerin für den Schönheitspreis vorschlug.

Steffi Arnhold. | Foto: Sandra Schmidt

Nachdem ihm in der Eröffnung ein Bauer abhandengekommen war, bekam Christian Muhl gegen OIBM-Stammgast Steffi Arnhold kein Bein mehr auf die Erde bzw. aufs Brett. In aller Konsequenz und in der Tat sehr schön zog Arnhold die Sache durch.

Für die Gewinnerin sollte es noch besser kommen. Dank dieses Sieges traf sie in der siebten Runde auf Großmeister Matthias Womacka – und erbeutete einen GM-Skalp!

…Tb3 und aus. Die Partie endete mit Dxd6 Txh3 matt!