“Trotz des niedrigen Niveaus” wolle er seine Partie aus der dritten Runde für den Schönheitspreis in den Ring werfen, schreibt Florian Pfeiffer – und geißelt sich und Denis Geist, der auf der anderen Seite des Brettes saß, mit reihenweise “?” und “??” für die ausgeführten Züge, als ob das 3500-Elo-Schach einer Maschine der Maßstab wäre. Tatsächlich war es eine wunderbare Partie mit einem starken Finish. Bei der redaktionellen Bearbeitung haben wir uns erlaubt, die Zahl der Fragezeichen deutlich zu reduzieren 🙂

Florian Pfeiffer. | Foto: Sandra Schmidt

Wahr ist, dass in der Eröffnung die eine oder andere Kleinigkeit schiefgegangen sein mag. Aber das ist, siehe Kommentare, in diesem Abspiel schon ganz anderen Leuten ebenso gegangen. Pfeiffer charakterisiert das Gefecht so: “Durch Fehler in der Eröffnung verlor Weiß zwei Bauern, konnte aber mit besserer Entwicklung und offenen Linien Druck gegen die Schwarze Stellung aufbauen. In taktischer Unordnung geriet Weiß in Zeitnot und wurde am Ende Matt gesetzt. Die Partie war ab der Eröffnung spannend und taktisch geladen.”

“Superinteressant für uns beide”, schreibt Janus Milojevic über seine Partie aus der dritten Runde gegen Benjamin Mazatis. “Zwei Türme wurden für eine Dame getauscht, und die Türme haben die Dame sehr lange dominiert.” Dann sei es ihm gelungen, die andere Hälfte des Brettes zu öffnen.

Janus Milojevic. | Foto: Sandra Schmidt

Weil es sich schließlich um eine “internationale” Meisterschaft handelt, hat Milojevic die Partie in englischer Sprache kommentiert:

Das Wesen einer Schachpartie besteht darin, dass stets nur ein kleiner Teil dessen aufs Brett kommt, was in den Köpfen der Kontrahenten vor sich gegangen ist. Im Falle von Tykhon Cherniaiev führte das in der dritten Runde dazu, dass sein Sieg ein zwar ansehnlicher war, aber kein spektakulärer. Weil das Beste hinter den Kulissen geblieben ist (bzw. in Tykhons Kopf), seien die Lesenden nun eingeladen, es zum Vorschein zu bringen.

Was während der dritten Runde in Dieter Morawietz’ Kopf vor sich gegangen ist, wissen wir nicht, aber es muss schachlich von erlesener Qualität gewesen sein. Auf der anderen Seite des Brettes balancierte Liviu Dieter Nisipeanu am Abgrund. Eines Stupsers bedurfte es noch, und die langjährige deutsche Nummer eins hätte sich nicht mehr halten können. Aber auch hier blieb das Spektakuläre, das in der Luft lag, hinter den Kulissen.

Das war nun wirklich schwierig. Es liegt schon so viel Konkretes in der Stellung (das leider noch nicht ganz funktioniert), dass darüber der kleine Vorbereitungszug Tde1! leicht zu übersehen ist. Hätte Morawietz damit seinen Turm dem Einfluss der schwarzen Dame entzogen und zugleich seinen e-Bauern angeschoben, wahrscheinlich hätte er wenig später ein Feuerwerk gezündet.

Mit höchster Wahrscheinlichkeit ist auch auf dem Brett vom Münchner Lokalmatador Robert Heigermoser einiges hinter den Kulissen geblieben. Aber das Entscheidende eben nicht. 22. f5! öffnete die Schleusen und markierte den Beginn eines Feuerwerks, das dem Traunsteiner einen IM-Skalp sicherte.

Ein klarer Kandidat für den Schönheitspreis, den in der zweiten Runde Großmeister Bobby Cheng für seinen großmeisterlichen Ausknipser …Lf1+ abgeräumt hat.

Bobby Cheng (l.) hat sich in der zweiten Runde den Schönheitspreis erkombiniert und die von Sebastian Siebrecht überreichte DVD verdient. | Foto: Sandra Schmidt

Gestern haben wir an dieser Stelle mit den drei Teenagern begonnen, die nach zwei Runden vor einer Reihe von Großmeistern das Feld anführten. Es war zu erwarten, dass sich diese Reihenfolge nach der dritten Runde umkehrt. Katharina Katter (17) etwa wehrte sich wacker gegen Keymerbesieger Gerlef Meins, unterlag aber doch. Und Jomon Jinan, der Tabellenführer von gestern, wird auch nach der dritten Runde zufrieden sein. Seinem großmeisterlichen indischen Landsmann G.N. Gopal hat der 18-Jährige ein Remis abgeknöpft, und mit 2,5 Punkten und einer Performance nahe 2700 bleibt er zumindest in Sichtweite der Tabellenspitze.

Elf Spieler führen jetzt mit weißer Weste das Feld an, darunter sechs Großmeister – und doch ein Teenager. Laertes Neuhoff (12) aus Leipzig, eines der Ausnahmetalente im deutschen Kader, hat sich unter diejenigen Spitzenkönner gemischt, die alle drei Partien gewonnen haben. Morgen bekommt er seinen ersten Titelträger vorgesetzt, den ehemaligen Bayerischen Meister und German-Masters-Teilnehmer FM Eduard Miller.

Ansonsten stehen in der vierten Runde die ersten beiden Großmeisterpaarungen der 25. OIBM auf dem Programm: Schröder vs. Safarli und Halkias vs. Sanal.

Alle Paarungen der vierten Runde

 

 

 

Für die deutschen Nationalspielerinnen war der dritte Tag am Tegernsee kein gelungener. Jana Schneider und Josefine Heinemann verloren – Letztere gegen Jan-Christian Schröder, der inmitten eines langsamen italienischen Lavierens mit Schwarz Ambition anmeldete und dafür mit einem Fehler Heinemanns belohnt wurde. Und dann konnte sich Heinemann noch so hartnäckig verteidigen. Als Schröder einmal am Drücker war, ließ er nicht mehr locker.

Großmeister Jan-Christian Schröder – nicht am Tegernsee fotografiert, sondern in der Schachbundesliga. | Foto: Ralf Rache

Shreyas Royal setzt seine Reihe glänzender Siege von Runde zu Runde fort. Das Opfer in Runde drei: Jana Schneider, die sich gegen den jungen GM-Norm-Jäger von der Insel bestimmt mehr ausgerechnet hatte, aber dann einer kapitalen Fehleinschätzung erlag.  Den Eindringling auf d6 hätte sie besser weggenommen.

Glanzsieg folgt auf Glanzsieg, wer stoppt Shreyas Royal? In der vierten Runde wird es Bobby Cheng versuchen dürfen. | Foto: Sandra Schmidt

Einen mehr als 400 Punkte stärkeren Gegner besiegen, das gelingt nicht oft. Kein Wunder, dass Azat Hildebrand (9) stolz auf sein Werk aus der zweiten Runde ist – und der Papa auch, so sehr, dass er die Partie eingeschickt hat.

Bayerischer U8-Vizemeister: Azat Hildebrand. | Foto: Sandra Schmidt

 

“Kann man das nicht auf remis reklamieren?”, fragte der Schachfreund während der Schlussphase seiner Partie Schiedsrichter Hans Brugger. Die Uhren waren beiderseits heruntergelaufen, besagter Schachfreund sah keine Chance für seinen unterschütterlich spielenden Gegner zu gewinnen, und er meinte sich an eine Regel zu erinnern, nach der in den letzten zwei Minuten eine Remis-Reklamation möglich ist, wenn der Gegner keine Gewinnversuche unternimmt.

Leider konnte Schiedsrichter Hans Brugger dem reklamierenden Schachfreund kein Tor zum halben Punkt öffnen. | Foto: Sandra Schmidt

Tatsächlich gibt es diese Regel im FIDE-Handbuch, sie ist Teil der “Guidelines III/Quick-Play-Finish-Rules”. Nur gibt es, zumindest für unseren reklamierenden Schachfreund, auch einen Haken. Wenn nach Fischer-Modus gespielt wird, also mit einem Inkrement, dann gelten sie nicht. Die “Guidelines III” betreffen ausschließlich Standard- und Schnellschach-Partien ohne Inkrement. Bei Partien mit Zeitzuschlag und generell beim Blitz sind sie nicht anzuwenden. “Quick-Play-Finish” bezieht sich auf eine Partiephase, in der alle verbleibenden Züge innerhalb einer fixen Zeitspanne ausgeführt werden müssen.

Und so musste Hans Brugger dem Schachfreund mitteilen, dass er sich zwar auf eine existente Regel bezieht, dass diese aber der Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaft nicht gilt. Die Partie wurde fortgesetzt – mit einem bitteren Ende für unseren Schachfreund, der sich per Regelwerk den halben Punkt sichern wollte. Die Gewinnversuche seines Gegenübers fruchteten letztlich doch, und nach dem misslungenen Protest setzte es schließlich noch einen Partieverlust.

46 Spieler mit zwei Punkten aus den ersten zwei Partien, zu viele, um sie hier alle aufzuführen. Also beschränken wir uns auf die ersten drei, diejenigen, die dank der stärksten Gegner nach Wertung vorne liegen:

Noch vor all den Großmeistern liegen zwei 18-Jährige und eine 17-Jährige an der Spitze des knapp 450-köpfigen Felds, ein Trio, das dort zumindest nominell nicht zu erwarten gewesen war.

Jomon Jinan, einer von zahlreichen Indern in der 25. OIBM, hat in den ersten Runden zwei IM besiegt. “Beeindruckend” sei sein Turmendspielsieg in der ersten Runde gegen IM Christian Köpke aus Garching gewesen, sagt Turnierdirektor Sebastian Siebrecht. Nicht viel weniger gut waren die Gegner von Julian Wagner, Spitzenspieler des SC Kempten und einziger Spieler aus dem Führungstrio mit einer Elo unter 2000.

Katharina Katter. | Foto: Sandra Schmidt

Katharina Katter aus dem steirischen Werndorf hat in diesem Jahr schon im europäischen Schach-Kontext von sich hören lassen. Bei der U16-Schnellschach-EM hat sie die Bronzemedaille gewonnen.

Hinter diesen dreien finden sich fast alle Topfavoriten – bis auf einen. Mit G.N. Gopal aus Indien musste in der zweiten Runde der erste GM einen halben Punkt lassen. Markus Hinterreiter von den SF Deisenhofen war im Turmendspiel nicht zu bezwingen. Schachfreund Gopal bekommt es morgen mit einem Landsmann zu tun – eben jenem Jinan Jomon, der die Tabellenspitze ziert.

Die 25. OIBM mit Shreyas Royal (l.) und Anton Korobov im Sportradio Deutschland. Klick aufs Bild führt zur aufgezeichneten Sendung.

Wer am Sonntag früh aufgestanden ist, konnte im Radio OIBM-Schach hören. Seit dem Kandidatenturnier hat das Sportradio Deutschland eine, mittlerweile sogar zwei wöchentliche Schachsendungen ins Programm aufgenommen. Am heutigen Sonntag hat der Schreiber dieser Zeilen mit Moderator Oliver Faßnacht über den Turnierauftakt am Tegernsee gesprochen und speziell über die Geschichte des englischen Supertalents Shreyas Royal.

Morgens erklomm er den Hirschberg, nachmittags geann IM Dieter Morawietz den Schönheitspreis für die Partie des Tages. | Foto: Sandra Schmidt

21.Dxf7!, das war einen Schönheitspreis wert.

Dieter Morawietz hat vor der zweiten Runde für seine Auftaktpartie den täglich ausgesetzten Schönheitspreis gewonnen. Morawietz war zu bescheiden gewesen, sein feines Damenopfer in der ersten Runde für den Preis anzumelden. Der Schreiber dieser Zeilen hatte es derweil übersehen, ebenso alle anderen am Turnier Beteiligten. Hätte nicht ein anonymer Schachfreund in einer YouTube-Kommentarspalte darauf aufmerksam gemacht, Morawietz’ Einschlag auf f7 wäre die Würdigung verwehrt geblieben.

Tykhon Cherniaiev, das ukrainische Ausnahmetalent aus Charkiw, das nach dem russischen Überfall auf sein Heimatland in Hamburg Unterschlupf und Unterstützung fand, ist seit Kurzem FIDE-Meister. Da nun dieser Titel “offiziell” in seinem FIDE-Profil vermerkt ist, spielte der 12-Jährige am Sonntag in der zweiten Runde am Tegernsee seine erste Partie neben einem Namensschild, auf dem “FM” statt wie bisher “CM” vermerkt war. “Wie ein Honigkuchenpferd” habe er sich gefreut, und, wer weiß, vielleicht hat ihm das FM-Schild den nötigen Schub beschert, um nach seinem Auftaktremis in der zweiten Runde Sascha Pollmann vom SV Werder Bremen niederzuringen.

Tykhon Cherniaiev ist jetzt FM. | Foto: Sandra Schmidt

Der gestern an dieser Stelle gepriesene Favoritenschreck Marcel Marentini hat in der zweiten Runde seinen Meister gefunden, genauer: den Deutschen Meister. Mit den schwarzen Steinen spielte Marentini gegen Costa bestens mit, bis ihm kurz vor der Zeitkontrolle im Bemühen um Vereinfachung ein Missgeschick unterlief, das den weißen Türmen einen Weg auf die siebte Reihe ebnete. Wenig später, siehe Diagramm rechts, war es auch schon vorbei. Nach 42. Lxc5 ging ein erster Bauer verloren, dem bald die ganze Partie folgen sollte.

Die ersten reinen GM-Paarungen wird es voraussichtlich in der vierten Runde geben. In der dritten heißt es an den Spitzenbrettern vielfach GM vs. IM. Aus deutscher Sicht spannend: Leonardo Costa wird sich mit Schwarz des tschechischen GM Jiri Stocek erwehren müssen. Josephine Heinemann führt die weißen Steine gegen GM Jan-Christian Schröder. Ihre Nationalmannschaftskollegin Jana Schneider wird sich derweil mit Schwarz gegen das englische Ausnahmetalent Shreyas Royal wehren müssen.

Zur Auslosung der dritten Runde

Monothematisch soll es hier nur in dem Sinne zugehen, dass Schach auf der Agenda steht. Keinesfalls ist geplant, jeden Tag die Partie von Liviu Dieter Nisipeanu zu zeigen. Aber heute soll nach dem Erstrunden- auch der Zweitrundensieg des Nationalspielers gezeigt werden, der es wieder besonders eilig hatte. Nachdem Maximilian Lohr, Spitzenspieler des FC Ergolding, schon im fünften Zug eine Eröffnungsfeinheit versäumt hatte, ging es geradewegs bergab mit der schwarzen Stellung.

Was Liviu Dieter Nisipeanu nach 1.c4 heute mit den weißen Steinen auf dem Brett hatte, kennt er, siehe Partiekommentare, auch aus der schwarzen Perspektive. | Foto: Sandra Schmidt

Speziell Englisch-Spieler möchten dieses sehen:

 

Im Juli 2021 schrieb Großmeister Bobby Cheng Geschichte. Die FIDE hatte ihn zum World Cup nach Sotschi eingeladen. Dort sollte er der erste Australier überhaupt werden, dem es gelingt, in einer Schach-WM-Qualifikation eine Stufe vor dem Kandidatenturnier eine Partie zu gewinnen. Denjenigen, den er in Sotschi im Tiebreak besiegt hat, sieht er jetzt am Tegernsee wieder: den türkischen Großmeister Vahap Sanal.

Bobby Cheng während des World Cups 2021 in Sotschi. | Foto: FIDE/YouTube

Seinerzeit in Sotschi siegte Cheng weiter, verdankt das allerdings nicht seiner Klasse im Schach, sondern der Pandemie. Gegen Levon Aronian hätte er antreten müssen, aber beim Armenier zeigten sich grippeähnliche Symptome. Aronian gab sich kampflos geschlagen, und Cheng stand in Runde drei. Das war allerdings die Endstation. Dem weißrussischen GM Vladislav Kovalev unterlag er 0,5:1,5.

Bei zwei Siegen am Stück steht Cheng auch heuer bei den Offenen Internationalen Bayerischen Meisterschaften. In der zweiten Runde gelang ihm gar ein glänzender Sieg.  Chengs 22…Lf1+! (siehe weiter unten) hält Turnierdirektor Sebastian Siebrecht für einen Kandidaten für den Zug des Turniers.